Die großen Pharmakonzerne wachsen nicht schnell genug

Unternehmen setzen auf Übernahmen für stärkeres Wachstum

16.05.2017 - Deutschland

Die großen Pharmaunternehmen treten auf die Bremse: Das Wachstum der 21 größten Pharmakonzerne der Welt bei Umsätzen und den Ausgaben für Forschung und Entwicklung ist zurückgegangen. Beim Gewinn bleibt das Wachstum jedoch konstant. So kletterte der Umsatz 2016 – bereinigt um Währungseffekte – um 3,1 Prozent auf 445,4 Milliarden Euro – 2015 war der Umsatz währungsbereinigt noch um 4,6 Prozent gestiegen.

Garak01, pixabay.com, CC0

Noch deutlicher ist der Wachstumsrückgang bei den F&E-Ausgaben: Die Unternehmen gaben zusammen 80,7 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das waren währungsbereinigt zwar 3,9 Prozent mehr als 2015, damals hatten die Unternehmen jedoch ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung um 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht.

Dafür haben die Pharmakonzerne an ihrer Profitabilität gearbeitet und konnten ihr operatives Ergebnis (Ebit) nach einem Wachstum von 6,1 Prozent im Jahr 2015 im vergangenen Jahr noch einmal um 6,3 Prozent auf 156,7 Milliarden Euro steigern. Damit hat sich auch die EBIT-Marge (Verhältnis Gesamtergebnis zum Gesamtumsatz) leicht von 26,3 Prozent auf 27,0 Prozent verbessert.

Und auch die Produktpipeline wächst weiter zweistellig: Derzeit befinden sich 4.606 Produkte in der klinischen Entwicklung, der Zulassungsphase oder wurden in den Markt eingeführt. Das sind noch einmal knapp 12 Prozent mehr als im Jahr 2015. Insbesondere die Zahl der eingereichten und damit kurz vor der Markteinführung stehenden Wirkstoffe ging deutlich um ein Viertel auf 120 nach oben.

Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen der 21 größten Pharmaunternehmen der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY erstellt hat.

„Big Pharma gelingt es derzeit nicht, genügend neue Wirkstoffe auf den Markt zu bringen, die für deutliche Wachstumsschübe sorgen könnten“, kommentiert Gerd Stürz, Marktsegmentleiter Life Sciences für Deutschland, die Schweiz und Österreich bei EY, die Zahlen. Während im Vorjahr noch Währungseinflüsse das Wachstum anschoben, spielten sie 2016 kaum noch eine Rolle. „Nun wird deutlich, dass Big Pharma ein Wachstumsproblem hat. Die Branche präsentiert sich dabei uneinheitlich: Während einige Unternehmen deutlich wachsen, trüben andere das Gesamtbild ein. 2016 konnte die Mehrheit zwar Umsatzzuwächse verzeichnen – bei sechs Unternehmen gingen die Umsätze allerdings zurück.“

Siegfried Bialojan, Leiter des EY Life Science Center in Mannheim, ergänzt: „Die US-Konzerne dominieren bei der Umsatzentwicklung und auch bei der Marge.“ Mit Blick auf Bayer, Boehringer Ingelheim und Merck fügt er hinzu: „Die deutschen Pharmakonzerne schlagen sich im internationalen Vergleich insgesamt hervorragend – hinken aber bei der Profitabilität deutlich hinterher.“

US-Konzerne dominieren

So entwickelten sich die US-Konzerne zuletzt positiver als ihre Konkurrenz aus Europa und Japan. Die Top-10 beim durchschnittlichen jährlichen Umsatzwachstum zwischen 2014 und 2016 sind fest in US-amerikanischer Hand – sieben von zehn Vertretern kommen aus den Vereinigten Staaten: Angeführt wird das Ranking von Abbvie mit einem Zuwachs von 13,3 Prozent, dahinter folgen Novo Nordisk aus Dänemark (+12,2 Prozent) und Bristol-Myers (+10,6 Prozent). Mit den beiden deutschen Konzernen Bayer und Boehringer Ingelheim, deren Pharma-Sparten in dem Zeitraum pro Jahr durchschnittlich um 10,2 beziehungsweise 9,2 Prozent wachsen konnten und die sich damit auf den Plätzen fünf und sechs wiederfinden – schafften es neben Novo Nordisk nur noch zwei weitere nicht-amerikanische Vertreter in die Top-10. Merck kommt dagegen nur auf ein leichtes Wachstum von 1,8 Prozent.

Dafür landen alle drei deutschen Unternehmen unter den Top Ten beim F&E-Wachstum: Merck gab 2016 14,2 Prozent mehr für Forschung und Entwicklung aus als im Vorjahr – nur Gilead konnte dank starkem Anstieg der klinischen Studien mit einem deutlichen Plus von 54,8 Prozent einen deutlicheren Zuwachs verzeichnen. Bayer platzierte sich mit einem Plus von 13,8 Prozent auf Platz 3, Boehringer Ingelheim kam mit einem Plus von 3,6 Prozent gerade noch in die Top Ten.

Profitabilität der deutschen Konzerne unterdurchschnittlich

Allerdings schaffen es die drei deutschen Vertreter kaum, ihre Profitabilität zu steigern: Die Ebit-Marge ist bei allen drei unterdurchschnittlich. Immerhin konnte Bayer die Marge der Pharma-Sparte um 1,3 Prozentpunkte auf 17,3 Prozent steigern. Bei Merck und Boehringer Ingelheim schrumpfte die entsprechende Marge dagegen sogar um 0,8 Prozentpunkte auf 16,8 Prozent beziehungsweise um 0,9 Prozentpunkte auf 15,6 Prozent.

Auch bei der Marge dominieren die US-Unternehmen. Gilead und Biogen erreichen sogar Margen von 59,4 und 50 Prozent. Allerdings schwächte sich die Marge bei Gilead im Vergleich zum Vorjahr (68 Prozent) deutlich ab. Das Unternehmen muss zurückgehende Verkäufe bei seinen Hepatitis-C-Präparaten hinnehmen. Die dritthöchste Marge erzielte das dänische Unternehmen Novo Nordisk.

Unternehmen konzentrieren sich weiter auf Krebswirkstoffe

Die Unternehmen setzen bei der Entwicklung neuer Produkte weiter auf die bisherigen Hauptumsatzträger: Von den in der klinischen Entwicklung befindlichen Wirkstoffen, sind 1.776 Krebsmedikamente – das entspricht einem Anteil von 39 Prozent an allen Wirkstoffen. Medikamente gegen Infektionen und zur Behandlung des zentralen Nervensystems folgen mit weitem Abstand auf den Plätzen zwei und drei: Von ihnen sind 513 beziehungsweise 489 in der Entwicklungsphase.

Bereits heute machen Krebsmedikamente knapp 29 Prozent aller Medikamentenumsätze der Top-21-Unternehmen aus. Die Umsätze in dem Bereich stiegen von 2015 auf 2016 noch einmal deutlich um 10 Prozent auf 127,9 Milliarden Euro. „Die Krebsforschung hat in der jüngsten Vergangenheit weitere deutliche Fortschritte gemacht und Wirkstoffe entwickelt, die gezielter auf zellularer Ebene wirken können. Die Therapien werden schonender für den Patienten und effizienter. Dieser Bereich birgt für die Branche nach wie vor hohes Potenzial“, sagt Bialojan.

Trotz der hohen Anzahl an neuen Wirkstoffen schaffen es die großen Pharmaunternehmen nicht, ihren Umsatz an die Marktentwicklung anzugleichen. „Der hohe Aufwand aus der Forschung zahlt sich häufig am Ende nicht genügend aus. Der Pharmamarkt ist stark reguliert. Manche Medikamente werden außerdem nicht von den Kassen erstattet beziehungsweise die Unternehmen können nicht die erhofften Preise durchsetzen. Das kostet am Ende Wachstum. Immerhin haben die Behörden in jüngster Vergangenheit ihre Zulassungsverfahren etwas beschleunigt“, sagt Bialojan.

Wachstumsdruck führt zu M&A-Rekorden

So bräuchte Big Pharma im laufenden Jahr einen Umsatzschub von 100 Milliarden US-Dollar, um mit der Entwicklung des Gesamtmarktes mithalten zu können. „Dieser Wachstumsdruck befeuert den Übernahmemarkt“, erläutert Stürz. „Denn aus eigener Kraft kommen die großen Pharmaunternehmen nicht auf die nötigen Wachstumszahlen. Wir werden daher auch in den kommenden Jahren einen aktiven Übernahmemarkt erleben. Die Grenze von 200 Milliarden US-Dollar wird die neue Normalität bleiben.“

Bereits in den vergangenen Jahren tätigte die Gesamtbranche Zukäufe von mehr als 200 Milliarden US-Dollar. Die Summe stieg von 227 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014 auf 230 Milliarden US-Dollar 2015 und machte im vergangenen Jahr noch einen deutlichen Sprung nach oben: auf einen neuen Rekordwert von 258 Milliarden US-Dollar. Vor allem Big Biotech verdoppelte seine M&A-Ausgaben zuletzt fast von 22 auf 40 Milliarden US-Dollar.

„Neben dem schwachen Umsatzwachstum sorgt auch die derzeitige Neusortierung der Branche für viel Bewegung auf dem Übernahmemarkt. Die Unternehmen stoßen Bereiche ab, die nicht mehr in ihr Portfolio passen und konzentrieren sich vor allem auf ihre Stärken. Dabei kommt es vermehrt zu Deals, bei denen nicht nur Geld eine Rolle spielt, sondern auch der für beide Seiten sinnvolle Austausch von Geschäftsbereichen“, beobachtet Stürz. Zudem hätten sie genügend liquide Mittel zur Verfügung und könnten sich darüber hinaus am Markt günstig Geld für Zukäufe sichern.

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