Bollwerk im Kampf gegen Viren – neues bakterielles Immunsystem entschlüsselt

Erstmals Struktur und Funktionsweise des Zorya-Systems beschrieben

16.12.2024
Frederick J.O. Martin/ Universität Kopenhagen

3-D-Modell des bakteriellen Viren-Abwehrsystems Zorya

Bakterien werden ununterbrochen von Viren infiziert, sogenannten Phagen, die die Bakterien als Wirtszellen nutzen. Doch im Laufe der Evolution haben Bakterien eine Vielzahl von Strategien entwickelt, um sich vor diesen Attacken zu schützen. Viele dieser bakteriellen Immunitätssysteme sind schon lange bekannt. Prof. Dr. Marc Erhardt und Prof. Dr. Philipp Popp, beide vom Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin, haben nun gemeinsam mit  Kolleg*innen in Dänemark und Neuseeland und weiteren Kooperationspartnern die Struktur und Funktionsweise eines neuartigen bakteriellen Abwehrsystems gegen Phagen entschlüsselt. Es war ursprünglich 2018 von einer israelischen Forschungsgruppe entdeckt und nach Zorya, einer Figur in der slawischen Mythologie benannt worden. Die Forschungsergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Das Zorya-System erkennt Phagenangriffe und aktiviert eine frühzeitige und präzise Abwehr, die das Virus unschädlich macht, ohne dass die Wirtszelle abstirbt. „Zorya ist wie ein Frühwarnsystem mit einem Schutzschild. Es erkennt die ersten Anzeichen eines Angriffs und reagiert blitzschnell, um den Eindringling abzuwehren“, erklärt Prof. Marc Erhardt, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Mikrobiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und einer der Hauptautoren der Studie.

Molekulares Bollwerk gegen Phagen

Die Untersuchung des Zorya-Systems anhand modernster Methoden wie Kryo-Elektronen- und Fluoreszenzmikroskopie zeigt, dass es aus einem einzigartigen molekularen Motor und mehreren spezialisierten Komponenten besteht. Dieser Motor erkennt frühzeitig Veränderungen in der Zellhülle, die durch eindringende Phagen verursacht werden, und löst eine Abfolge von Schutzreaktionen aus. Durch diesen bisher unbekannten Mechanismus kann die Bakterienzelle die Phagen-DNA gezielt abbauen, so dass das Virus sich nicht in der Wirtszelle vermehren kann. Das ist bemerkenswert, denn in der Regel verhindern Bakterien die Vermehrung der Phagen, indem sie den Zelltod einleiten, sich also selbst „opfern“. „Die Entschlüsselung des Zorya-Systems war wie das Öffnen einer Schatztruhe“, sagt Erhardt. „Man entdeckt immer wieder neue Facetten dieses molekularen Meisterwerks.“

Um die Struktur der Protein-Komplexe zu analysieren wurden Proben mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie innerhalb von Sekundenbruchteilen auf sehr niedrige Temperaturen bis zu -260 °C heruntergekühlt. Diese Schockgefrierung verhindert die Bildung von Eiskristallen, so dass Moleküle in ihrer natürlichen Form erhalten bleiben. Die Fluoreszenzmikroskopie wiederum ermöglichte den Einblick in die Interaktion der Virenpartikel mit den Bakterienzellen.

Neue Möglichkeiten für biotechnologische Anwendungen

Die Entschlüsselung dieses Viren-Abwehrsystems hat weitreichende Implikationen: Sie trägt einerseits dazu bei, die Mechanismen der Phagen-Bakterien-Interaktion besser zu verstehen. Andererseits eröffnen die Erkenntnisse neue Möglichkeiten für biotechnologische Anwendungen. „Das Zorya-System könnte als Grundlage für die Entwicklung innovativer Werkzeuge dienen, um gezielt genetisches Material zu manipulieren oder um neuartige Therapien gegen bakterielle Infektionen zu entwickeln“, ergänzt Prof. Philipp Popp, Gastprofessor am Institut für Biologie und Mitautor der Studie. Auch die Entwicklung der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten CRISPR-Cas-Methode für die Genom-Editierung geht auf ein in den 2000er Jahren entdecktes Immunitätssystem von Bakterien zum Schutz vor Viren zurück. Die vorliegende Arbeit ist für Philipp Popp auch ein Beispiel für die Schönheit der molekularen Biologie: „Es ist faszinierend zu sehen, welche eleganten Überlebensstrategien Bakterien entwickeln. Zorya zeigt uns, wie viel wir noch über diese winzigen, aber unglaublich komplexen Organismen lernen können.“

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