Spektakulärer Erfolg: Forscher klären die Evolution der Insekten mittels DNA-Analysen auf
Dr. Oliver Niehuis, ZFMK, Bonn
Wissenschaftler des internationalen 1KITE Projektes (1000 Insect Transcriptome Evolution) ist es gelungen mit einer bisher unerreichten, gigantischen Datenmenge von 1478 Genen, der Entwicklung völlig neuer Analyseverfahren und der Verwendung von Höchstleistungsrechnern (wie z.B. dem SuperMUC in München und CHEOPS in Köln) den Stammbaum der Insekten aufzuklären.
Mit der Veröffentlichung dieser Arbeit in der Fachzeitschrift Science werden die Grundlagen für ein besseres Verständnis der Evolution dieser Tiergruppe gelegt. Dieses Wissen ist deshalb von so großer Bedeutung, weil unsere terrestrischen Lebensräume sowohl in kultureller als auch in kommerzieller Hinsicht entscheidend von Insekten geprägt werden. Die Ergebnisse werden dazu beitragen, ganz neue und auch effizientere Wege bei der Nutzung biologischer Ressourcen, in der Landwirtschaft oder in der Schädlingsbekämpfung zu beschreiten.
„Insekten sind mit mehr als einer Million beschriebener Arten mit Abstand die artenreichste und vielfältigste Tiergruppe unseres Planeten. Viele Arten sind für uns Menschen von immenser wirtschaftlicher und medizinischer Bedeutung, zum Beispiel als Bestäuber von Nutzpflanzen oder als Überträger von Krankheitserregern.“ sagt Prof. Dr. Bernhard Misof aus dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (ZFMK) in Bonn, der das dreijährige Projekt mit Prof. Dr. Karl Kjer (Rutgers - State University of New Jersey, USA) und Dr. Xin Zhou, Deputy Director of the China National GeneBank, BGI-Shenzhen in China, leitete.
Prof. Dr. Rolf Beutel aus dem Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie mit Phyletischem Museum der Friedrich-Schiller-Universität Jena weist darauf hin, dass zur Klärung der Evolution dieser enormen Artenvielfalt und des ökologischen Erfolgs der Insekten, die Rekonstruktion des Stammbaumes eine elementare Voraussetzung ist.
Eine beeindruckende Erfolgsstory
Anhand der Häufigkeiten von Mutationen im Genom kann man das Alter von Aufspaltungen im Stammbaum grob abschätzen. Im 1KITE Projekt wurde diese „molekulare Uhr“ in einer richtungsweisenden Form mit Hilfe von Fossilien kalibriert, wodurch die Verlässlichkeit der Altersangaben stark verbessert wird.
Demnach traten Insekten schon vor rund 480 Millionen Jahren erstmals auf, zeitgleich mit den ersten Landpflanzen. „Bereits 100 Millionen Jahren später, eroberten Insekten als erste Tiere den Luftraum und blieben für fast 200 Millionen Jahre die alleinigen Herrscher der Lüfte“ erklärt Prof. Dr. Jes Rust vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Viele der heute noch lebenden Insektengruppen entstanden schon im Erdaltertum. Auch die Evolution von Insekten mit einem Puppenstadium in ihrer Entwicklung begann bereits vor etwa 350 Millionen Jahren. Insekten erreichten damit ihre erste Blütezeit lange vor dem Auftreten der Dinosaurier. Die enorme Entwicklung der Artenvielfalt der Insekten erfolgte aber erst in der Kreidezeit in enger Verbindung mit der Evolution der Blütenpflanzen.
Zusammenführung von Kompetenzen
Die Rekonstruktion des Stammbaumes der Insekten war nur durch die Zusammenarbeit von rund 100 Experten für molekulare Biologie, Morphologie, Paläontologie, Taxonomie, Embryologie und Bioinformatik möglich.
Das größte nationale Forschungsinstitut Chinas, das Bejing Genomics Institute, finanzierte die Sequenzierung der genomischen Daten. „Es war uns ein Anliegen, die lange Zeit vernachlässigte genetische Vielfalt der Insekten mit einer Gruppe exzellenter Wissenschaftlern zu analysieren“ erklären Zhou, Kjer und Misof.
Schwierige Analyse riesiger Datenmengen
„Die Grundlage der veröffentlichten Analysen ist die Sequenzierung von sogenannten Transkriptomen. Darunter versteht man die Gesamtheit der Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Organismus aktiv sind und in RNA „transkribiert“ also umgeschrieben werden. Das Transkriptom umfasst daher einen großen und sehr wichtigen Teil der Erbinformation eines Organismus“ erläutert Kjer. „Zusätzlich bietet die Sequenzierung von Transkriptomen den Vorteil, dass nur aktive Proteine analysiert werden. Dies spart viel Zeit ohne Verlust an Qualität. Nur so war es möglich, in einer so kurzen Zeitspanne eine derartige Fülle an Daten auszuwerten“ erläutert Misof.
Der ambitionierte Plan, derartige Datenmengen zu bearbeiten, stellte die Bioinformatiker vor große Probleme. „In der Planungsphase des 1KITE Projektes war es klar, dass die verfügbare Software mit der riesigen Datenmenge überfordert sein würde. Wir mussten daher bis zur Fertigstellung der Transkriptomdaten neue Lösungen finden, um solche Analysen auf Höchstleistungsrechnern zu ermöglichen.“ schildert Prof. Dr. Alexandros Stamatakis, Leiter der Forschungsgruppe „Scientific Computing“ am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) und Professor für High Performance Computing in den Lebenswissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Mit der Veröffentlichung der Stammbaumrekonstruktion der ersten 144, alle Insektenordnungen repräsentierenden Arten, stellt die Wissenschaftlergruppe nun auch neue Methoden zur Bearbeitung und Analyse dieser Datenmassen frei zur Verfügung. Misof weist darauf hin, dass „die Entwicklung neuer Algorithmen und Software durch die 1KITE Wissenschaftler einen wesentlichen Anteil der Innovationskraft des Projektes ausmacht.“ Damit wurde der Grundstein für die Analyse noch wesentlich umfangreicherer Daten gelegt.
Daten für die Scientific Community
Neben dem Stammbaum an sich stellt das Wissenschaftlerteam erstmals umfassende genomische Daten für Insekten der Öffentlichkeit und damit auch anderen Wissenschaftlern zur Verfügung. Grundlagenforschung und angewandte Wissenschaftsprojekte werden noch Jahre von diesen Daten profitieren. So ist es anhand dieser Daten nun möglich, zum Beispiel Stoffwechselwege unterschiedlicher Insektenarten zu vergleichen und dieses Wissen dann in der Schädlingsbekämpfung einzusetzen.
Das 1KITE Projekt ist ein Lehrstück internationaler Kooperation. Forschungsverbünde unter Einbeziehung von Forschungsmuseen als Garanten der Langzeitarchivierung der Belegexemplare, Ergebnisse und Metadaten charakterisieren zunehmend die internationale Spitzenforschung. Aus der Pilotphase von 1KITE werden zahlreiche und breitgefächerte internationale Folgeprojekte hervorgehen, mit großen Synergieeffekten und langfristigen Kooperationen zwischen Forschern und Institutionen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für das Gelingen des Projektes ist die freie Verfügbarkeit von Höchstleistungsrechnern für die Wissenschaft, wie etwa der SuperMUC Rechner am Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, ohne den die Berechnung des Insektenstammbaumes nicht möglich gewesen wäre.