Forscher machen „Gentaxi“ sicherer
Neue Therapie für Schweren kombinierten Immundefekt entwickelt
Der Schwere kombinierte Immundefekt
SCID ist eine Gruppe schwerer, seltener Immundefekte. Nur jeder 50.000 Säugling erkrankt an SCID. Der jeweilige Gendefekt führt aber meist zu einer schweren Störung der Bildung weißer Blutkörperchen, wie Lymphozyten und natürliche Killerzellen, sodass der betroffene Patient keine funktionierende Immunabwehr entwickeln kann. Die Kinder besitzen also ein fehlerhaftes Immunsystem und können sich nicht gegen Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze und Viren wehren. In den ersten Lebenswochen treten häufig schon die ersten Symptome der Krankheit auf: Die Säuglinge entwickeln sich schlechter als ihre Altersgenossen und fallen durch häufige, zum Teil schwere Infektionen auf. Unbehandelt sterben viele der an SCID erkrankten Kinder in den ersten Lebensmonaten.
Die Behandlung
Da sich der Gendefekt unter anderem in den Knochenmarkstammzellen befindet, können SCID-Patienten mit einer Knochenmarktransplantation behandelt werden, bei der das gesamte Blut- und Immunsystem des Kindes ausgetauscht wird. Dies setzt jedoch voraus, dass rechtzeitig ein passender Spender gefunden wird. Die von den MHH-Forschern mitentwickelte Gentherapie stellt eine alternative Therapie für die Patienten dar, für den Fall, dass es keinen geeigneten Spender gibt.
Die Gentherapie
Die Gentherapie ist ein komplexer medizinischer Eingriff. Dabei entnehmen Mediziner dem Patienten Blutstammzellen aus dem Knochenmark und reinigen diese auf. Im Labor präparieren sie dann ein speziell auf die Erkrankung zugeschnittenes Gentaxi. Mit diesem Gentaxi bringen die Wissenschaftler fehlerfreie Kopien von dem defekten Gen in die Stammzellen ein. Durch den Transfer der korrekten genetischen Information sind die Zellen in der Lage, den fehlenden lebensnotwendigen Stoff, zum Beispiel ein Eiweiß, selbst herzustellen. Anstatt einer Transplantation von fremdem Spenderknochenmark erhält der Patient seine eigenen, allerdings „reparierten“ Zellen. Im Idealfall normalisiert sich innerhalb weniger Monate die Blutbildung. Das Knochenmark des Patienten kann wieder alle Blutzellen bilden – bei SCID-Patienten werden die fehlenden Lymphozyten und natürlichen Killerzellen gebildet.
Das neue Gentaxi
In einigen Fällen erkrankten die Patienten als Nebenwirkung der Therapie jedoch an einer Leukämie. Die Ursache: Das bisher verwendete Gentaxi aktivierte unerwünscht benachbarte Gene, wie zum Beispiele Proto-Onkogene. „Im transatlantischen Gentherapiekonsortium entwickelten wir gemeinsam die Idee, ein verbessertes, sich selbst inaktivierendes (SIN) Gentaxi zu entwickeln. „Als Grundlage dient uns hierfür ein bereits etablierter Gammaretrovirus-Vektor, wie er zuvor verwendet wurde“, erklärt Professor Schambach. „Wir veränderten in unserer Arbeitsgruppe die Vektorarchitektur, entfernten die fehlregulierenden Bereiche und ergänzten einen zellulären, physiologischeren Promotor. Unser Ziel war es, ein Gentaxi herzustellen, dass das notwendige Protein in ausreichenden Menge herstellt, um den Patienten zu behandeln, ohne dass benachbarte Gene aktiviert werden.“
Retroviren als Gentaxi
Retroviren sind auf den Stoffwechsel des Wirts angewiesen. Um diesen nutzen zu können, müssen die Viren ihr Erbmaterial in den Zellkern einschleusen – dies macht sie zu sehr wirkungsvollen Transportvehikeln. Im Zellkern angekommen, bauen sie ihr Erbgut in das der Wirtszelle ein. Bevor die Forscher Retroviren als Vektor nutzen können, entfernen sie deshalb zuvor alle Virusgene. Sie nutzen den entstehenden Platz, um die gesunden Gene in Stammzellen des Patienten einzubringen.
Die Studie
In der multizentrischen Studie wurden neun an SCID-X1 erkrankte Kinder mit dieser Form der Gentherapie behandelt. Die meisten dieser Kinder sind heute geheilt. „Untersuchungen des Blutes ergaben, dass das neu entwickelte Gentaxi erheblich seltener als vorangegangene Vektorengenerationen unkontrolliertes Zellwachstum auslöst. Dies lässt hoffen, dass die Patienten auch in Zukunft keine Leukämien oder andere Nebenwirkungen entwickeln. Die Patienten werden in den Kliniken nun aber weiterhin engmaschig untersucht, um gegebenenfalls rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Denn die Sicherheit der Patienten hat neben der Aussicht auf Heilung oberste Priorität“, sagt Professor Schambach.
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