Proteinverlust führt zu Lerndefiziten und aggressivem Verhalten
Universität Basel, Biozentrum
Organismen müssen in der Lage sein, Signale von aussen zu empfangen und diese in biochemische Informationen umzuwandeln. Nur so können sie adäquat auf ihre Umwelt reagieren. Auch für die Verarbeitung von Informationen, die das Gehirn erreichen, ist diese Fähigkeit eine wichtige Voraussetzung. Im Gehirn aktiviert die Stimulation von Neuronen unter anderem diejenigen Gene, die für Lernprozesse und Gedächtnis wichtig sind. In enger Zusammenarbeit mit einem internationalen und interdisziplinären Team hat die Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Jean Pieters vom Biozentrum der Universität Basel nun erstmals zeigen können, dass ein evolutionär konserviertes Protein, das sogenannte Coronin 1, das Bindeglied zwischen äusserem Reiz und neuronaler Aktivierung darstellt und somit effizientes Lernen sowie Gedächtnisbildung in Mäusen und Menschen gewährleistet.
Vom Immunsystem zum Gehirn
Bereits in früheren Arbeiten konnte Pieters’ Team zeigen, dass Coronin 1 entscheidend für die richtige Weiterleitung von Signalen in Immunzellen ist. An Mäusen, denen das Protein fehlt, wollten die Forscher die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen untersuchen. Überraschenderweise zeigten diese Mäuse Verhaltensauffälligkeiten. So waren sie nicht nur weitaus aggressiver als ihre normalen Artgenossen, sondern gingen auch einer extrem gesteigerten Körperpflege nach, einem Anzeichen für einen weniger ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Weitergehende Untersuchungen zusammen mit Forschern vom Friedrich Miescher Institut in Basel und der Universität Bordeaux ergaben, dass der Verlust von Coronin 1 zu tiefgreifenden Lernproblemen und Verhaltensauffälligkeiten führt und die Aktivierung von Nervenzellen beeinträchtigt ist.
Aktivierung von Signalkaskade
Wie kann Coronin 1 korrekte Verhaltensweisen sicherstellen? Normalerweise löst die Stimulation der Oberfläche von Nervenzellen eine Reaktionskaskade aus, die schliesslich die Produktion des Signalmoleküls cAMP anregt. Dieses Molekül wiederum aktiviert verschiedene Prozesse in der Zelle, unter anderem das Ablesen von Genen, die das Verhalten steuern. «Wenn Coronin 1 fehlt, führt die Stimulation der Zelloberfläche zu einer gestörten Produktion von cAMP», erklärt Pieters. «Dies beeinträchtigt die gesamte Signalweiterleitung und letztendlich das Lernen und die Gedächtnisbildung.»
Von Mäusen und Menschen
In einem zweiten Schritt arbeiteten sich die Wissenschaftler durch die klinische Vorgeschichte eines Patienten, der aufgrund einer Mutation kein Coronin 1 bilden konnte. Es stellte sich heraus, dass dieser Patient unter Lernschwäche litt und durch aggressives Verhalten auffiel. Mit dieser Studie ist es Pieters und seinen Partnern gelungen die entscheidende Rolle von Coronin 1 für Wahrnehmung und Verhalten herauszustreichen. Sie konnten zudem den genauen Signalweg aufklären, der sich nun hinsichtlich potenzieller Risikofaktoren oder zukünftiger Behandlungsstrategien für Verhaltensstörungen weitergehend untersuchen lässt.