Neue Zwischenbilanz bei LIFE-Gesundheitsstudie

25.09.2013 - Deutschland

Auf der Basis von inzwischen gut 4.200 erwachsenen und knapp 2.700 nicht erwachsenen Studienteilnehmern veröffentlicht das Leipziger Forschungszentrum für Zivilisationserkrankungen (LIFE) der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig aktualisierte Zwischenergebnisse. Dabei ist auffällig, dass unter den Erwachsenen Allergien und starkes Übergewicht stetig zunehmen. In der teilnehmenden Leipziger Bevölkerung ist Bluthochdruck der häufigste Grund für eine medikamentöse Behandlung, im Alter über 60 sind vier von fünf davon betroffen. Alarmierend ist, dass sich ungünstige Gesundheitsmerkmale besonders in unteren sozioökonomischen Schichten abzeichnen. Bei Kindern und Jugendlichen sind Depressionen ein unterschätztes Problem. Von 500 weisen knapp zehn Prozent eine depressive Störung auf.

Ergebnisse der Erwachsenen-Gruppe (LIFE ADULT)

Seit Erhebungsbeginn konnten zwischen November 2011 und September 2013 rund 4.240 erwachsene Studienteilnehmer untersucht werden. Die jetzt veröffentlichten Zwischenergebnisse beruhen auf den Auswertungen ihrer Daten. Danach zeichnet sich ab, dass einige sogenannte Alterserkrankungen schon in weit jüngeren Lebensjahren beginnen, als bisher gedacht. Bei Personen unter 50 Jahren wurden nachweisbare Veränderungen an den Gefäßen (Plaques) gefunden, die als Vorboten einer späteren koronaren Herzkrankheit eingestuft werden. Aufgrund eines neuen Messverfahrens konnten bei den unter 50-Jährigen außerdem Netzhautveränderungen (Makuladegneration) aufgedeckt werden, die bislang ebenfalls als eine Alterserkrankung galt. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese frühen Veränderungen späteren Sehverlusten um viele Jahre voraus laufen.

Ein großes Gesundheitsproblem stellt der erhöhte Blutdruck dar. Bereits im Alter unter 40 Jahren wurde bei ungefähr einem Viertel der Studienteilnehmer ein abzuklärendes Messergebnis gefunden. Im Alter über 60 Jahre sind vier von fünf Leipziger Bürgern vom Bluthochdruck betroffen. Bluthochdruck ist die häufigste Indikation für medikamentöse Behandlung in Leipzig.

Die Wissenschaftler haben außerdem festgestellt, dass Allergien tendenziell weiter zunehmen und in hohem Maße auch Erwachsene betreffen. Bemerkenswert ist dabei besonders die Sensibilisierung durch die aus Amerika eingewanderte Ambrosia (beifußblättriges Traubenkraut).

Auch das krankhafte Übergewicht (Adipositas) ist auf dem Vormarsch. Mit zunehmendem Alter wächst der Anteil an übergewichtigen Personen (BMI >25) auf 80 Prozent und der Anteil an adipösen Personen (BMI >30) auf 30 Prozent. Dabei wurde ein markanter Wechsel im Fettverteilungsmuster festgestellt. Während Personen im mittleren Alter eine gesäß- und beinbetonte Fettverteilung aufweisen (Birnenform), verschieben sich die Verteilungsmuster mit dem Alter zu einem mehr bauchbetonten Muster (Apfelform). Mittels der bei den Untersuchungen eingesetzten innovativen 3D-Bodyscan-Technik und ausgefeilter bioinformatischer Methoden werden genaue Analysen von Körpergestalten erzielt.

Diabetes wurde bei über 20 Prozent der Personen über 60 Jahren vorgefunden. Bei jedem 4. Diabetiker war er bislang nicht bekannt. Auffällig ist, dass der Diabetes unter Personen mit Adipositas nochmals deutlich häufiger anzutreffen ist, in Teilgruppen bis 40 Prozent.

Verhalten: Über ein Drittel der Studienteilnehmer bewegt sich zu wenig. Einwöchige Messungen über die zurückgelegte Schrittzahl zeigen, dass die von der WHO empfohlene tägliche Schrittzahl von 10.000 deutlich unterschritten wird. Eine Auswertung des Essverhaltens zeigt deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Jede 4. Frau aber nur jeder 8. Mann reguliert die Nahrungsaufnahme bewusst, um das Gewicht zu halten.

Erstmals liegt eine Untersuchung zum Schlafverhalten vor. Männer haben im Durchschnitt eine Netto-Schlafdauer von 6 Stunden und Frauen von 6,5 Stunden, Einschlafzeiten und Unterbrechungszeiten nicht mitgerechnet.

Eine depressive Symptomatik wiesen sechs Prozent aller Studienteilnehmer auf. Sie betrifft Frauen häufiger als Männern. Auffallend ist, dass die Häufigkeit depressiver Symptome stark von einer niedrigen sozialökonomischen Schicht abhängt.

Erwartungsgemäß gemessen wurden mit dem Alter zunehmende moderate Einschränkungen in der kognitiven Leistung. Bei 4 Prozent der Studienteilnehmer über 65 Jahre sind diese allerdings erheblich.

Mit der zweiten Zwischenauswertung wird das große Forschungspotenzial der LIFE-Studie deutlich. Sie erweist sich auch als ein Instrument, den Gesundheitszustand der Leipziger Bevölkerung tiefgehend zu erfassen und daraus Hinweise für dringenden, gesundheitspolitischen Handlungsbedarf zu erhalten. Beispielsweise zeichnet sich eine Häufung von ungünstigen Gesundheitsmerkmalen in unteren sozioökonomischen Schichten ab, in denen Adipositas, Diabetes und depressive Symptome bereits im mittleren Lebensalter verstärkt auftreten.

Die Bevölkerung hat die Studie gut angenommen, jeder 50. Leipziger hat das Studienzentrum inzwischen besucht. Die Untersuchungen sind umfangreich. Sie dauern für alle Probanden fünfeinhalb Stunden, für einzelne Teilgruppen stehen zwei weitere Tage von jeweils drei Stunden an. Das vorgesehen Programm bewältigen über 95 Prozent der Teilnehmer. Das Ziel ist, bis Ende 2014 insgesamt 10.000 Personen im Alter zwischen 40 und 80 Jahren, die zufällig aus der Leipziger Bevölkerung ausgewählt werden, in die Studie einzubeziehen.

Ergebnisse der Kinder-Gruppe (LIFE CHILD)

Seit dem Startpunkt vor zwei Jahren sind bis heute knapp 2.700 Kinder und Jugendliche in die LIFE CHILD-Studie aufgenommen worden. Da sie als Langzeitstudie mit jährlichen Wiederholungen angelegt ist, hat ein Großteil der Kinder, Eltern und Schwangeren den Untersuchungsparcours bereits zwei oder mehrmals absolviert.

Ein wichtiger Forschungsbereich betrifft Referenzwerte, die behandelnden Ärzten in der Gesundheitsversorgung zur Einschätzung dienen, ob ein Untersuchungswert normal oder krankhaft ist. Zum großen Teil fehlen solche Maßstäbe im Kindesalter noch. LIFE CHILD erstellt aktuell Referenzwerte für Schilddrüsen, Nieren- und Knochenparameter. In den Auswertungen ist zu erkennen, dass die Blutkonzentration von dem für den Knochenaufbau bedeutendem Vitamin D bei den meisten Kindern und Jugendlichen nach dem zweiten Lebensjahr deutlich unter der empfohlenen Blutkonzentration liegt. Die Ursache und Auswirkungen für Erkrankungen wie Osteoporose im Erwachsenenalter, werden noch untersucht. Dass eine Verbindung zum veränderten Freizeitverhalten mit intensiver Mediennutzung in geschlossenen Räumen besteht, ist wahrscheinlich.

In Bezug auf die Früherkennung von Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus Typ II oder von Herz-/Kreislauferkrankungen zeigt sich, dass der sogenannte Body-Maß-Index (BMI), das Verhältnis aus Größe und Gewicht im Kindesalter nicht wie bei Erwachsenen taugt. Die LIFE-Wissenschaftler greifen vielmehr auf die 3D-Körpervermessung und Volumenmessungen mittels Bodyscanner zurück und sehen darin auch die Zukunft für die Arztpraxis.

Bei Kindern sind Depressionen ein unterschätztes Problem. Im Teilprojekt "Psychische Entwicklung/Depression" unter Leitung von Prof. Kai von Klitzing werden Menschen im Alter von acht bis 14 Jahren im Hinblick auf Risiko- und Schutzfaktoren für psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen, untersucht. Bisher wurden über 500 Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern in die Studien aufgenommen, vermittelt über die beiden Leipziger Kinderpsychiatrischen Kliniken am Universitätsklinikum und im Parkkrankenhaus, über die LIFE CHILD Gesundheitsstudie sowie über eine Gruppenauskunft des Meldeamts. Knapp zehn Prozent aller bisher untersuchten Kinder und Jugendlichen weisen alle Kriterien einer aktuellen depressiven Störung auf. Jedes 5. Kind, das über die Kliniken einbezogen wurde, hat oder hatte eine depressive Störung. Viele der Kinder leiden außerdem an anderen psychischen Problemen. Depressionen, Ängste aber auch Verhaltensauffälligkeiten treten bei ihnen besonders häufig gleichzeitig auf. Dabei weisen Kinder mit psychischen Störungen deutlich mehr psychosoziale Belastungsfaktoren innerhalb der Familie und mit Gleichaltrigen auf als gesunde Kinder. Allein 35 Prozent der Studienteilnehmer mit einer depressiven Störung haben Eltern, die selbst mit einer solchen Problematik leben. Vor diesem Hintergrund empfehlen die Wissenschaftler, die auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen für psychische Störungen langfristig und umfassend zu erfassen. Familien sollten über zehn Jahre hinweg alle zwei Jahre untersucht werden.

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