EU lässt Medikament zur HIV-Prophylaxe zu

Täglich und teuer: Pille «Truvada» soll HIV-Infektion vorbeugen

02.09.2016 - Belgien

(dpa) Künftig können auch in Deutschland Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko vorsorglich eine Pille nehmen. Das hat die EU-Kommission unter Auflagen gebilligt. Was steckt hinter diesem Mittel? Die wichtigsten Antworten:

Was ist das für ein Medikament?

Das Präparat «Truvada» ist nicht neu. Laut dem Hersteller Gilead Sciences ist es seit 2005 für die Therapie bereits Infizierter zugelassen. In Kombination mit anderen HIV-Medikamenten unterdrückt es die Vermehrung des Virus. «Es ist eines der am häufigsten verwendeten Medikamente zur Behandlung der HIV-Infektion», sagt die Medizinerin Annette Haberl vom HIV-Center des Frankfurter Uniklinikums. Mit der aktuellen Zulassung wird der Anwendungsbereich des Mittels auf Gesunde mit hohem Ansteckungsrisiko ausgeweitet. Fachleute sprechen von einer Prä-Expositionsprophylaxe, kurz PrEP.

Wie wirkt das Medikament im Körper?

Es enthält zwei Wirkstoffe, die die Virusvermehrung in den Zellen hemmen. So kann ein Einnisten des HI-Virus und damit eine Infektion verhindert werden - vorausgesetzt, die Tabletten werden regelmäßig einmal täglich eingenommen. Einer Studie zufolge wird dann eine Schutzwirkung von 86 Prozent erreicht, wie Haberl erläutert.

Kann jetzt jeder das Mittel nehmen? 

Nein. Es wird nur auf Rezept abgegeben - und das voraussichtlich «mit ganz viel Fingerspitzengefühl», wie Hans-Jürgen Stellbrink vom Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg sagt. Experten sehen die PrEP als weiteren Vorsorge-Baustein insbesondere bei Männern, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben, dabei aber nicht konsequent Kondome benutzen können oder wollen. «Es wird in dieser Gruppe häufig ChemSex praktiziert, also Sex unter synthetischen Drogen. An Kondome zu denken, kann dann schwierig sein», sagt Haberl. Die Zielgruppe für eine PrEP sei aber insgesamt klein. «Wir erwarten keinen Run auf «Truvada».»

Ab wann ist die PrEP erhältlich?

Das ist noch unklar, da der Zulassungsinhaber die Auflage bekommen hat, Schulungsmaterialien für Ärzte und Anwender bereitzustellen. Diese müssen in Deutschland mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgestimmt werden. Vorschläge für die Materialien liegen bereits vor, wie ein BfArM-Sprecher mitteilte. Die Bearbeitungszeit dauere vier Wochen und verlängere sich, falls nachgebessert werden muss.

Wer bezahlt die monatlichen Kosten von rund 800 Euro?

Wohl die Interessenten selbst. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Prävention nicht, wie ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes mitteilte. Die Deutsche Aids-Hilfe forderte den Hersteller bereits zu einer Preissenkung auf, um das Mittel der Risikogruppe auch zugänglich zu machen. Mediziner befürworten eine pragmatische Sichtweise: «Man sollte präventiv alles machen, was geht», sagt Stellbrink. Die Kosten für die Behandlung Infizierter, womöglich über Jahrzehnte, lägen wesentlich höher.

Gibt es keine günstigeren Alternativen?

Doch. Bereits heute lassen sich manche aus dem Ausland ein indisches Generikum mitbringen, das monatlich etwa 60 Euro kostet. Auf solche Wege drohen Interessenten auszuweichen, falls keine Lösung für die Kosten gefunden wird, fürchten Experten. Die Gefahr: Sie werden nicht zur Einnahme und weiterer Vorbeugung beraten und fallen womöglich aus dem medizinischen Monitoring heraus, das eigentlich zur Prophylaxe gehört. «Das kann überhaupt nicht das sein, was wir wollen», betont Haberl mit Blick auf die schwer zu erreichende Zielgruppe.

Gibt es noch weitere Risiken?

Das Medikament kann zwar vor HIV schützen, nicht aber vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen. Insofern raten Experten weiter zur Kondombenutzung. Wer «Truvada» vorbeugend nimmt, müsste ohnehin regelmäßig zum Arzt gehen: Mindestens alle drei Monate solle auf sexuell übertragbare Erkrankungen und HIV getestet werden, so Haberl. «Im Falle einer HIV-Infektion ist es ganz wesentlich, dass man sofort die PrEP abbricht». Sonst könnten Resistenzen entstehen.

Hat das Mittel Nebenwirkungen?

Bei der vorbeugenden Einnahme haben Mediziner kaum Bedenken. Denn die Zielgruppe besteht vor allem aus jungen, gesunden Männern, die für eine bestimmte Zeit darauf zurückgreifen. Zu Beginn der Einnahme können etwa vorübergehend Magen-Darm-Probleme, Übelkeit und  Müdigkeit auftreten. Bei langer Einnahmedauer kann sich die Nierenfunktion verschlechtern und die Knochendichte verringern.

Welche Erfahrungen haben andere Länder gemacht?

Laut Gilead Sciences ist die PrEP unter anderem bereits in den USA, Südafrika, Australien, Kanada und Kenia zugelassen. Teils war dort eine Zunahme von Resistenzen und ein Anstieg sexuell übertragbarer Erkrankungen befürchtet worden. Das habe sich bisher aber nicht bewahrheitet, sagte Stellbrink. Sinkende Infektionszahlen wurden etwa von Schwulen in San Francisco berichtet - Haberl schränkt aber ein: «Es ist noch unklar, welche Rolle «Truvada» dabei spielt.»

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