«Die Bilder gehen nicht weg» - zwei Jahre nach der EHEC-Epidemie

Viele Patienten leiden bis heute an Folgeschäden - es sind jedoch weniger als einst befürchtet

03.05.2013 - Deutschland

(dpa) Die schrecklichen Erinnerungen an ihre EHEC-Erkrankung lassen die Hamburgerin Monika Pankowska auch zwei Jahre danach nicht los. «Die Bilder gehen einfach nicht weg», sagt die 34-Jährige. Bauchkrämpfe, akutes Nierenversagen, kiloschwere Wassereinlagerungen, neurologische Störungen - drei Wochen lang wurde die Gastronomin im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) behandelt, weil bei ihr die schwere EHEC-Verlaufsform hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) diagnostiziert wurde. «Mir geht es inzwischen wieder gut», sagt die Frau. Doch ab und zu spüre sie noch Spätfolgen. Im Frühsommer 2011 wurde eine neue Form des aggressiven Lebensmittel-Keims EHEC zur lebensbedrohlichen Gefahr - vor allem in den nördlichen Bundesländern.

53 Menschen starben bei der größten deutschen EHEC-Epidemie, 3800 erkrankten. Den Beginn des Ausbruchs datiert das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin auf den 8. Mai in Friesland. Über die Ursache wurde lange gerätselt, inzwischen gelten aus Ägypten importierte Bockshornklee-Samen als Quelle für die Infektionen.

Wie viele Menschen bundesweit heute noch Nachwirkungen von EHEC spüren, lässt sich laut RKI noch nicht beziffern, weil die entsprechenden Untersuchungen an den Kliniken andauern. Nach Angaben des Nierenspezialisten Prof. Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) leiden derzeit weit weniger ehemalige HUS-Kranke an Spätfolgen als erwartet. «Deutlich über 90 Prozent spüren gerade nichts mehr», sagt er. Jedoch könnten sich Langzeitfolgen auch erst nach einigen Jahren bemerkbar machen.

Das UKE will Mitte Mai neue Daten seiner Patienten erheben. Es sollen möglichst alle ehemaligen HUS-Patienten zur Nachuntersuchung kommen, 120 werden erwartet. «Wir schauen nach: Haben die Patienten Bluthochdruck? Wie ist ihre Nierenfunktion? Gibt es noch auffällige Veränderungen an den Blutwerten?», berichtet Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl.

Denn über die richtige Behandlungsmethode des damals grassierenden neuen Erregertyps 0104:H4 herrschte an den Kliniken große Unsicherheit. Zudem traf EHEC früher vorwiegend Kinder, 2011 aber meist gesunde Erwachsene. Neben der Plasmapherese, dem Austausch von Blutplasma, wurde auch eine neue Antikörpertherapie ausprobiert.

Zuletzt wurden die Patienten-Daten im UKE vor einem Jahr ausgewertet. 15 Prozent der früheren HUS-Kranken hatten Folgen wie Bluthochdruck, eingeschränkte Nierenfunktion oder Konzentrationsstörungen. «Es gab aber deutliche Besserungstendenzen», berichtet Stahl. Ob das so geblieben ist oder ob lebenslange Schäden zu befürchten sind, ist noch offen. «Wir werden jetzt sehen, wie es nach zwei Jahren aussieht», meint Stahl.

Es sei beispielsweise möglich, dass ehemalige HUS-Patienten Bluthochdruck entwickelt hätten, die vor einem Jahr noch keine Anzeichen dafür hatten. Ihnen müsse dann mit Medikamenten geholfen werden. Stahl ist nicht sicher, ob alle eingeladenen Patienten kommen werden: «Manche wollen nichts mehr damit zu tun haben und sprechen nicht gern über ihre Erinnerungen an die Krankheit», berichtet er.

Die Zahl der gemeldeten EHEC-Erkrankungen in Deutschland stieg. Zwischen 2001 und 2010 lag der mittlere Wert der EHEC-Fälle laut RKI noch bei 934. Im Jahr nach dem großen Ausbruch gab es aber eine deutliche Erhöhung auf 1531. «Wir erklären uns das mit besserer diagnostischer Aufmerksamkeit vor allem bei Erwachsenen», sagt RKI-Experte Klaus Stark. Die HUS-Meldezahlen lagen 2012 dagegen mit 69 Fällen im üblichen Bereich. Nach dem offiziellen Ende der Epidemie - am 4. Juli 2011 - gab es nach Angaben des RKI noch 22 EHEC-Fälle mit definitivem Labornachweis des O104:H4-Ausbruchsstamms, der letzte im Oktober 2011. Mehrere EHEC-Todesfälle wurden seither gemeldet - doch die gab es auch in der Vergangenheit.

Schneller würde im Fall einer neuen EHEC-Welle die Meldekette funktionieren: Seit Ende März darf es laut Gesetz höchstens drei Werktage dauern, bis ein Fall von der Arztpraxis oder dem Labor via Gesundheitsamt und Landesbehörde das RKI erreicht.

Zwei Jahre nach der EHEC-Epidemie ist für Stark klar: «Wir müssen künftig verstärkt mit überregionaler und globaler Ausbreitung von Erregern rechnen, die durch Lebensmittel übertragen werden.» Es sei aber auch ein weiteres Szenario möglich: «Durch den Austausch und die Kombination von Eigenschaften von ursprünglich zwei Erregern könnte sich ein besonders gefährlicher neuer Erreger bilden, ein Hybrid, wie es im EHEC O104-Ausbruch der Fall war. Davor ist man auch in den nächsten Jahren nicht gefeit», sagt Stark.

Monika Pankowska macht bis heute zu schaffen, wie schwer sie bei der EHEC-Epidemie 2011 innerhalb weniger Stunden von einem gesunden, jungen Menschen zu einer Schwerkranken wurde. Sie hat Angst, ihr könnte wieder etwas Ähnliches passieren. Als sie an HUS litt, konnte sie nicht mehr richtig sprechen und rechnen. «Manchmal bin ich mir immer noch mit Zahlen unsicher, das ist hängengeblieben», sagt sie. Doch sie hat Hoffnung: «Vielleicht geht das auch wieder weg.»

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