Ungefaltete Proteine schrumpfen bei Wärme
Proteine sind wichtige Moleküle in unserem Körper, die ein vielfältiges Spektrum von Funktionen erfüllen: Sie helfen etwa als Enzyme mit, Nahrung zu verwerten, ermöglichen als Muskelproteine die Bewegung, sind als Antikörper in die Immunabwehr sowie als Hormonrezeptoren in die Signalübertragung in den Zellen eingespannt. Bis vor kurzem ging man davon aus, dass alle Proteine eine klar definierte dreidimensionale Struktur annehmen – sich also falten –, um solche Funktionen erfüllen zu können. Überraschenderweise hat sich aber herausgestellt, dass viele wichtige Proteine als entfaltete Knäuel vorkommen. Forschende versuchen herauszufinden, wie diese unstrukturierten Proteine überhaupt hochkomplexe Funktionen ausführen können.
Die Forschungsgruppe um Ben Schuler vom Biochemischen Institut der Universität Zürich hat nun festgestellt, dass eine Temperaturerhöhung dazu führt, dass sich entfaltete Proteine zusammenziehen und kleiner werden. Denselben Effekt haben auch andere Umgebungseinflüsse: Die dichten Verhältnisse in den Zellen lassen die Proteine schrumpfen. Da diese Proteine daran beteiligt sind, mit anderen Molekülen im Körper zu interagieren und andere Proteine zusammenzubringen, ist das Verständnis dieser Prozesse essentiell, «da sie in vielen Vorgängen in unserem Körper eine grosse Rolle spielen, beispielsweise auch bei der Entstehung von Krebs», so Studienleiter Ben Schuler.
Messungen mit dem «molekularen Massstab»
«Dass sich bei höherer Temperatur die entfalteten Proteine verkleinern, deutet darauf hin, dass das Zellwasser eine überaus wichtige Rolle dafür spielt, welche räumliche Anordnung die Moleküle schliesslich einnehmen», kommentiert Schuler die Auswirkung von Temperatur auf die Proteinstruktur. Die Biophysiker wenden für ihre Untersuchungen die sogenannte Einzelmolekül-Spektroskopie an. Kleine Farbstoff-Sonden am Protein erlauben es, Veränderungen mit einer Genauigkeit von mehr als einem millionstel Millimeter festzustellen. Mit diesem «molekularen Massstab» lässt sich messen, wie molekulare Kräfte auf die Proteinstruktur wirken.
Mit Computersimulationen haben die Forschenden das Verhalten der unstrukturierten Proteine nachgestellt, und sie wollen damit künftig deren Eigenschaften und Funktionen besser vorhersagen.
Resultate aus dem Reagenzglas korrigieren
Wichtig ist es gemäss Schuler deshalb, die Proteine nicht nur im Reagenzglas, sondern auch im Organismus zu beobachten. «Damit wird berücksichtigt, dass es auf molekularer Ebene in unserem Körper sehr eng ist, denn in unseren Zellen drängen sich enorme Mengen an Biomolekülen auf engstem Raum zusammen», so Schuler. Eine solche «molekulare Überbevölkerung» haben die Biochemiker nachgestellt und beobachtet, dass sich in dieser Umgebung unstrukturierte Proteine ebenfalls zusammenziehen.
Viele Experimente müssten womöglich aufgrund dieser Resultate revidiert werden, denn die räumliche Anordnung der Moleküle im Organismus könne sich deutlich von der im Reagenzglas unterscheiden, so der Biochemiker der Universität Zürich. «Wir haben deshalb eine theoretische Analyse entwickelt, mit der sich die Auswirkungen molekularer Überbevölkerung vorhersagen lassen.» In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden diese Erkenntnisse auf Messungen anzuwenden, die direkt in lebenden Zellen durchgeführt werden.