"Schwarzarbeitendes" Protein wirkt entzündungshemmend
Publikation von Wissenschaftler-Team der Universitäten Gießen, Aachen, Stockholm (Schweden) und Yale (USA) im amerikanischen Fachblatt "Journal of Biological Chemistry"
Das menschliche Genom besteht aus überraschend wenigen Genen. Eine Möglichkeit, die Funktionsvielfalt der Proteine, die von diesen Genen kodiert werden, zu erhöhen, ist die "Schwarzarbeit" von Proteinen. Damit ist gemeint, dass einige Proteine neben ihrer Hauptaufgabe Nebentätigkeiten ausüben können. Insbesondere Proteine, die das Ribosom - die Eiweißfabriken der Zelle - aufbauen, sind dafür bekannt. Das Forscherteam aus Deutschland (Gießen und Aachen), Schweden (Stockholm) und den USA (Yale) hat jetzt einen "Nebenjob" für das ribosomale Protein S19 (RPS19) in Säugerzellen identifiziert.
Ein Beispiel, wo die Erkenntnisse von Nutzen sein könnten, ist der Fall eines 15-jährigen Jungen, der sich beim Inline-Skating an der Hand verletzt hat. Aus dieser "Bagatellverletzung" entwickelte sich eine Blutvergiftung, auch Sepsis genannt, in deren Folge mehrere Zähne gezogen sowie Haut- und Muskelpartien transplantiert werden mussten. Entwickelt sich aus so einer noch "glimpflich" verlaufenen Blutvergiftung jedoch eine schwere Sepsis oder gar ein septischer Schock, dann stirbt jeder zweite Patient an den Folgen. Beim skatenden Jungen kam es zu einer bakteriellen Infektion seiner Hand, auf die sein Körper zunächst mit einer angemessenen Entzündungsreaktion reagiert hat, um die eindringenden Bakterien abzuwehren. Im weiteren Verlauf kam es dann jedoch zu einer Intensivierung der Entzündung, die beinahe außer Kontrolle geriet und zu einer Zerstörung einer Reihe von Geweben führte.
Bei der Verstärkung der Entzündung bzw. der Abwehrreaktion spielen Cytokine, Botenstoffe des Immunsystems, eine wichtige Rolle. Ein solches Cytokin ist der Makrophagen-Migrations-Inhibitionsfaktor (MIF), dessen Konzentration in Körperflüssigkeiten wie dem Blut über Dauer und Schwere einer Abwehrreaktion entscheidet. Mäuse, bei denen das MIF-Gen ausgeschaltet ist, sind in den meisten Fällen vor der Entwicklung einer Sepsis geschützt, wohingegen normale Mäuse, die MIF produzieren können, in der Regel daran sterben. Soll eine Entzündung, wie im obigen Beispiel für die Handverletzung beschrieben, nur den Infekt begrenzt bekämpfen, müssen die entzündungsfördernden Eigenschaften von MIF rechtzeitig gehemmt werden, damit es nicht zur Entwicklung eines lebensbedrohlichen septischen Schocks kommt.
Das Wissenschaftlerteam um Andreas Meinhardt konnte jetzt zeigen, dass "RPS19 einen neuen Nebenjob als MIF-Bremser übernehmen kann", wie Dr. Jörg Klug, einer der Autoren der Studie, berichtet. So konnte zunächst mit verschiedenen Methoden gezeigt werden, dass MIF und RPS19 stark aneinander binden. In Anwesenheit von RPS19 kann dann MIF nicht mehr wirksam an seine Rezeptoren andocken und in den Zielzellen seine entzündungsfördernde Wirkung entfalten. Wie andere Untersuchungen gezeigt haben, kann RPS19 von bei einer lokalen Entzündung geschädigten Zellen entlassen werden, um dann, so zeigen es die jetzt veröffentlichten Ergebnisse, in einer "Nebentätigkeit" überschießende Konzentrationen von MIF in Körperflüssigkeiten zu neutralisieren und damit einer unkontrollierten Verstärkung einer Entzündung entgegen zu wirken.
Dieser Befund wurde über die Gesellschaft für Technologietransfer TransMIT, Gießen, bereits zum Patent angemeldet. Als nächstes soll jetzt überprüft werden, inwieweit sich die Hemmung von MIF therapeutisch nutzen lässt.
Originalveröffentlichung: Ana-Maria Filip et al.; "Ribosomal protein S19 interacts with macrophage migration inhibitory factor and attenuates its pro-inflammatory function"; J. Biol. Chem 2009