Leberzirrhose: Bluttest identifiziert lebensgefährliche Fälle

10.11.2008 - Deutschland

Patienten mit einer Zirrhose lassen sich oft nur durch eine Transplantation retten. Allerdings gibt es viel zu wenig Spenderorgane. Sie sollen daher bevorzugt lebensgefährlichen Fällen zu Gute kommen. Diese lassen sich anscheinend an einem speziellen Blutprotein mit einer größeren Genauigkeit erkennen, als bislang möglich war. Das Protein namens sTNF-R75 könnte Ärzten dabei helfen, die Warteliste in eine entsprechende Rangfolge zu bringen. Das zeigt eine Studie am Universitätsklinikum Bonn.

Eine Zirrhose entsteht typischerweise durch jahrelangen starken Alkohol-Konsum. Ursachen können aber auch Entzündungen wie eine Hepatitis B oder C sein. Die Leber wandelt sich dabei nach und nach in narbiges Bindegewebe um - ein Prozess, der irreversibel ist. Sie kann dann ihre vielfältigen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen - unter anderem dient sie als Energiespeicher und wichtigste Entgiftungs-Station des Körpers. Eine Leberzirrhose ist daher lebensgefährlich; am Ende steht meist die Transplantation.

Doch gibt es bei weitem nicht genügend Ersatzlebern, um den Bedarf zu decken. "Die Mediziner nehmen daher eine Reihung vor", erklärt die Bonner Ärztin Dr. Bettina Rezori. "Dazu stützen sie sich vor allem auf den so genannten MELD-Score." Das ist letztlich nichts anderes als eine Zahl, die sich aus verschiedenen Blutwerten berechnet. Bei einem Score von 15 und mehr gilt der entsprechende Patient als gefährdet und wird auf die Transplantationsliste gesetzt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass er bei der Vergabe von Spenderorganen berücksichtigt werden kann.

Doch der MELD-Score differenziert nicht genau genug. "Immer wieder versterben Zirrhose-Patienten, die es wegen eines unkritischen Scores gar nicht auf die Transplantationsliste geschafft haben", sagt Bettina Rezori. Die Assistenzärztin der Anästhesie hat in der Abteilung für Innere Medizin 1 des Universitätsklinikums Bonn über ein Blutprotein promoviert, das das eventuell ändern könnte. Die Rede ist vom so genannten "Tumor-Nekrose-Faktor", einem Signalmolekül, das die Immunabwehr zu Höchstleistungen anspornt. "Das funktioniert so gut, dass die alarmierten Abwehrzellen selbst Tumoren angreifen und zerstören können - daher auch der Name", erklärt Dr. Christoph Reichel. Der Direktor des Reha-Zentrums Bad Brückenau und Privatdozent an der Bonner Medizinischen Fakultät hat Bettina Rezoris Doktorarbeit betreut.

Bei einer Leberzirrhose setzt der Körper permanent Tumor-Nekrose-Faktor frei. Das Immunsystem läuft dadurch dauerhaft auf Hochtouren - eine nicht unbedingt erwünschte Reaktion: Denn mit der Zeit wird die Leber durch den Angriff der körpereigenen Streitkräfte noch weiter geschädigt. Wer viel Tumor-Nekrose-Faktor ausschüttet, ist daher möglicherweise besonders anfällig für ein tödliches Organversagen. "Der Tumor-Nekrose-Faktor selbst eignet sich aus diversen Gründen aber nicht allzu gut für einen Bluttest", sagt Reichel.

Die Mediziner gingen in ihrer Studie daher einen indirekten Weg: Der Tumor-Nekrose-Faktor dockt nämlich an einen Rezeptor auf der Oberfläche bestimmter Zellen an. Das ist gewissermaßen der Startschuss zur verstärkten Immunreaktion. Der Rezeptor (sTNF-R75) samt seiner Fracht hat dann seine Schuldigkeit getan: Er wird von der Zelle ins Blut entsorgt und über die Nieren ausgeschieden. "Wir messen daher die Konzentration von sTNF-R75 im Blut", erklärt Reichel. "Denn auch die steigt bei Leberschädigungen an."

Die Mediziner untersuchten in ihrer zweijährigen Studie 92 Patienten mit Leberzirrhose. Nur sieben von ihnen konnte in dieser Zeit eine Spenderleber transplantiert werden. Als Entscheidungskriterium für die Dringlichkeit diente den Ärzten der MELD-Score. 44 weitere Patienten starben, ohne dass ihnen ein Ersatzorgan angeboten werden konnte. Bei 11 von ihnen war der MELD-Score unkritisch gewesen. Der sTNF-R75-Spiegel hatte sie dagegen korrekt als Risiko-Patienten ausgewiesen. Umgekehrt hätte der MELD-Score 18 der überlebenden Patienten als gefährdet eingestuft. Sieben von ihnen wiesen jedoch einen unkritischen sTNF-R75-Spiegel auf.

Allerdings kann die sTNF-R75-Menge beispielsweise auch bei einer verminderten Nierenfunktion ansteigen - und zwar selbst dann, wenn die Leber noch nicht weitreichend geschädigt ist. "In Verbindung mit dem MELD-Score ist der sTNF-R75-Spiegel jedoch gut geeignet, um das Sterberisiko von Patienten mit Leberzirrhose genauer abzuschätzen", fasst Bettina Rezori die Ergebnisse zusammen. "Für die Entscheidung, wer ein Spenderorgan wirklich dringend benötigt und wer vielleicht noch warten kann, ist das eine extrem wichtige Information."

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