Stradivari-Klang dank Pilzbefall
Erster Auftritt der biotechnologisch behandelten Geige
Michael Rhonheimer
Sie sieht aus wie eine echte, ehrwürdige Stradivari aus dem Jahr 1698. Trotzdem war die Geige bei der Innovationsmesse "Future Expo 2008" im Rahmen des "Swiss Innovation Forum" in Basel zu sehen. Denn unter der Lackierung steckt Know-how: Dem Empa-Forscher Francis Schwarze ist es gelungen, Holz mit annähernd denselben Klangeigenschaften herzustellen, wie es dem italienischen Geigenbaumeister im 17. Jahrhundert zur Verfügung stand. Nach jahrelangen Versuchen ist zum ersten Mal eine Geige in der Öffentlichkeit zu sehen, bei der das speziell behandelte Holz verwendet wurde. "Sie hat eine sehr gute Ansprache, verfügt aber auch über ein enormes Volumen", sagt der Geigenbauer Michael Rhonheimer aus Baden im Aargau. "Ich bin überzeugt, dass die Holzbehandlung an der Empa eine klangliche Verbesserung gebracht hat."
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hat Schwarze einen erstaunlichen Helfer rekrutiert: Holz zersetzende Pilze, genauer genommen den Pilz Xylaria longipes, einen Erreger der Weissfäule. Die Pilze treiben ihre Fäden tief ins Holz vom Bergahorn, das für die Bodenplatte der neuen Geige verwendet wurde, und nagen die Zellwände an ganz bestimmten Stellen an. So verringern sie die Holzdichte, was deutlich bessere Klangeigenschaften garantiert. Erstmals lässt sich dieselbe Holzqualität erreichen wie in Stradivaris Werkstatt, wie akustische Messungen der Empa ergaben.
Pilzbefall statt Kleiner Eiszeit
Antonio Stradivari wusste übrigens nichts von Holz zersetzenden Pilzen. Ihm kam seinerzeit die "Kleine Eiszeit" zu Hilfe. Von 1645 bis 1715 herrschten in Mitteleuropa aussergewöhnlich tiefe Temperaturen. Lange Winter und kühle Sommer sorgten dafür, dass die Bäume in den Südalpen nur langsam, dafür aber ziemlich gleichmässig wuchsen. Was für die Vegetation schlecht ist, ist für den Geigenbauer gut: Denn das Holz aus dieser Zeit des "Maunderminimums" hat gleichmässige, dünne Jahresringe und eine relativ geringe Dichte. Hervorragende Voraussetzungen für einen guten Klang.
Das Klima kann Francis Schwarze seinem Geigenholz zuliebe nicht ändern. Doch der Fachmann für Holzschutz fand nach langem Experimentieren endlich einen Pilz mit sehr speziellem Appetit: Er greift bestimmte Strukturen des Holzes an und lässt andere intakt. Dadurch ändert sich nur die Dichte, Biegesteifigkeit und Schallgeschwindigkeit aber bleiben erhalten.
"Heute ist der Unterschied zwischen dünnwandigen Frühholzzellen und dickwandigeren Spätholzzellen ausgeprägter als zu Stradivaris Zeiten. Unser Pilz greift gezielt die Zellwände der Spätholzzellen an. Dadurch verringert er einerseits die Dichte des Holzes, andererseits wird das Holz homogener", erklärt Schwarze. Damit ähnelt das Geigenholz nach dem gezielten Pilzbefall dem Material, mit dem der italienische Meister in seiner Werkstatt in Cremona arbeitete.
Aus Neu mach Alt
Ausserdem sorgt die Pilzbehandlung dafür, dass das Holz älter aussieht. "Dadurch gewinnt die Ästhetik der Geige. Das Holz darf nicht neu aussehen, das ist für Geigenbauer enorm wichtig", sagt Schwarze. Das bestätigt auch Michael Rhonheimer. Und lobt weitere Eigenschaften der neuen Geige: "Sie spielt sich sehr gut und sehr einfach." Jeder gewünschte Klang lasse sich ohne Widerstand aus dem Instrument hervorlocken - was bei anderen neuen Instrumenten mitunter schwerer fällt. "Für mich liegt die Verbesserung durch das behandelte Holz klar auf der Hand."
Beim aktuellen Modell wurden Schwarzes Pilze auf das Ahornholz des Geigenbodens angesetzt. Im nächsten Schritt soll eine komplette Violine aus dem speziellen Holz entstehen. Für die Behandlung des Geigendeckels sind allerdings andere Pilze zuständig, denn hierfür wird Fichtenholz verwendet. "Ich bin schon sehr gespannt, ob sich in der akustischen Leistung Unterschiede zwischen unserer neuen Geige und einer echten Stradivari ergeben", sagt Schwarze. Fachleute sollen die beiden Violinen in einem "Blindtest" vergleichen.