Vitamin B12 ist das Trojanische Pferd der Krebsforscher am schweizerischen Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaft
Ein Beispiel für das Scheitern eines im Prinzip klugen Ansatzes ist die Studie der Mayo Klinik in Rochester, USA aus dem Jahr 2000. Die Verbindungsneigung von Vitamin B12 zu seinem Haupttransportersystem "Transcobalamin II", einem Protein, wurde von den Forschern genutzt, um in einer grösseren Patientenstudie mittels radioaktivem Vitamin B12 primäre Tumoren und Metastasen abzubilden. Leider war aber auch in vielen normalen Organen eine hohe Anreicherung der Radioaktivität zu erkennen, sodass die Studie nicht weitergeführt wurde.
Die Forscher am Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaft, einer Einrichtung, die gemeinsam vom Paul Scherrer Institut in Villigen, der ETH Zürich und dem Universitätsspital Zürich betrieben wird, haben sich für einen anderen Ansatz entschieden. Dabei machten sie sich das Wissen zunutze, dass Cobalamin neben seinem Haupttransportersystem Transcobalamin II noch einen weiteren "Chauffeur" durch die Blutbahn benutzt, das Protein Transcobalamin I. So lehrt denn auch die Fachliteratur, dass Transcobalamin II hauptsächlich dem Transport von Vitamin B12 zu den Zellen (und damit zu allen möglichen Organen) dient, während Transcobalamin I hauptsächlich dem Transport von "überschüssigem" Vitamin B12 zur Leber dient.
In Versuchen fanden die Forscher um Robert Waibel ebenfalls heraus, dass bestimmte Tumoren solch einen aggressiven Hunger nach Cobalamin zeigen, dass sie sogar in der Lage sind, Vitamin B12 über das Transportprotein Transcobalamin I in ihre Zellen aufzunehmen und nicht auf ein vorbeifahrendes Transcobalamin II warten müssen. Die Wissenschaftler haben daher in einem ersten Schritt das Vitamin B12 radioaktiv markiert und in einem zweiten Schritt so manipuliert, dass es zwar noch vollwertig die Eigenschaften des Vitamins hat, aber andererseits seine molekulare Struktur so verändert ist, dass es nur noch von Transcobalamin I transportiert werden kann, jedoch nicht mehr von Transcobalamin II. In anschliessend durchgeführten Tierversuchen zeigte sich, dass tatsächlich einerseits die Aufnahme im Normalgewebe drastisch reduziert wurde, aber andererseits die Anreicherung im Tumorgewebe hoch genug war, um den Tumor in bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen.
In einem nächsten Schritt möchten die Forscher im Rahmen einer klinischen Studie am Universitätsspital Zürich klären, ob sich die bis anhin in Tierexperimenten gezeigten Ergebnisse auch auf Menschen übertragen lassen. Sollten die Bemühungen auch hier von Erfolg beschieden sein, könnte das modifizierte B12 nicht nur zum Aufspüren von bestimmten Tumoren benützt werden, sondern auch zu deren gezielter Zerstörung.
Originalveröffentlichung: Robert Waibel, Treichler H., Schaefer N. G. et al.; "New Derivates of Vitamin B12 Show Preferential Targeting of Tumors"; Cancer Res 2008; 68(8):2904-11.
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