Stammzellen lassen Geweihknochen wachsen

Erstmals die Existenz von "Stammzell-Nischen" im wachsenden Geweihknochen nachgewiesen

06.05.2008 - Deutschland

Verlorene Körperteile vollständig oder zumindest teilweise ersetzen? Nur sehr wenige höhere Organismen haben in der Natur diese Fähigkeit. Säugetiere sind generell nicht in der Lage, Körperteile vollständig zu regenerieren. Die einzige Ausnahme findet sich bei der Regeneration des Geweihknochens der Hirsche (Cerviden).

H. J. Rolf

Ungewöhnliches Teilungsstadium einer STRO-1 - markierten Vorläuferzelle

In Public Library of Science (PLoS) ONE ) berichten Dr. Hans Joachim Rolf und seine Kollegen von der Abteilung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Göttingen gemeinsam mit Kooperationspartnern von der Universität Hildesheim über das Wachstum und die Regeneration des Geweihknochens mit Hilfe von im Geweihansatz (Rosenstock) vorhandenen Stammzellen. Die Göttinger Studien verstärken die Hypothese, dass dem Wachstum des primären Geweihknochens wie dem Prozess der jährlichen Geweihknochenregeneration eine periodische Aktivierung von Stammzellen/Vorläuferzellen zugrunde liegt. Das Verständnis der Mechanismen, die diesen einzigartigen Regenerationsprozess verursachen und regulieren, könnte einen wichtigen Beitrag im Rahmen des stark anwachsenden Forschungsgebietes der regenerativen Medizin leisten. Die Forschungsarbeiten werden seit etwa drei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Das jährliche Erneuern der Geweihknochenstrukturen ist das einzige bekannte Beispiel im Tierreich, bei dem ein ausgewachsenes Säugetier einen Körperteil in einem relativ kurzen Zeitraum vollständig wiederherstellen kann. Aus diesem Grund ist der Geweihknochen ein höchst interessantes Studienobjekt für Wissenschaftler, die sich mit Fragen zur Regeneration von Geweben und Körperteilen beschäftigen. In diesem Zusammenhang werden seit längerem die Beteiligung von sogenannten Vorläuferzellen, die zum Beispiel durch "Umprogrammierung" von bereits differenzierten Zellen des Körpergewebes entstehen sollen, oder eine mögliche Aktivierung von im Gewebe "ruhenden" Stammzellen diskutiert.

Das Geweih der Hirsche sitzt auf knöchernen Stirnzapfen, die als "Rosenstock" be-zeichnet werden. In einem jährlichen Zyklus fallen die Geweihe des Vorjahres von der Stirn des Tieres ab (Geweihabwurf). An der Spitze der Stirnzapfen bleiben dabei offene Wunden zurück. Die Wundheilung und die Bildung der gleichzeitig entstehenden "Gewebeknospen", aus denen neuer Geweihknochen hervorgeht, vollziehen sich in bemerkenswerter Geschwindigkeit. Bei größeren Arten, wie beim Rothirsch (Cervus elaphus), entsteht neues Knochengewebe mit einer Wachstumsgeschwindigkeit von etwa einen Zentimeter pro Tag.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannten Biologen und Geweihforscher: Mit der Aufklärung der Mechanismen, die für die jährliche Geweihregeneration verantwortlich sind, kann ein wertvoller Beitrag auf dem Gebiet der Regenerationsforschung geleistet werden. Die Forschungen am regenerierenden Geweihknochen können dazu beitragen, die Frage zu beantworten: Warum ist es für Säugetiere unmöglich, verlorene Gliedmaßen zu ersetzen? Erst in jüngster Zeit wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Geweihrege-neration als sogenannter stammzell-basierter Prozess anzusehen sei.

Im Rahmen ihrer Forschungsprojekte zum Hirschgeweih hat nun die Göttinger Arbeitsgruppe um den Biologen Dr. Hans Joachim Rolf Stammzellen/Vorläuferzellen im 'Rosenstock' und im Gewebe des primären und regenerierenden Geweihknochens bei Damhirschen (Cervus dama) nachgewiesen. Damit konnten sie zum ersten Mal gesicherte Erkenntnisse präsentieren, die auf die Existenz von sogenannten "Stammzell-Nischen" im 'Rosenstock' und im wachsenden Geweihknochen von Hirschen hindeuten. Die Göttinger Wissenschaftler haben im Geweihknochen gezielt nach Zellen gesucht, die sich mit bekannten Oberflächen-Markern für Stammzellen/Vorläuferzellen markieren lassen. Solche Zellen wurden zunächst im Knochengewebe lokalisiert, anschließend mit modernen Methoden isoliert und dann unter verschiedenen Laborbedingungen weitergezüchtet. Die Wachstums- und Differenzierungseigenschaften dieser Zellkulturen wurden dann eingehend untersucht.

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist der Nachweis von STRO-1+ Zellen in unterschiedlichen Bereichen des Knochengewebes im 'Rosenstock', primären und regenerierenden Geweih von Damhirschen. Zellen, die sich mit dem Oberflächenmarker STRO-1 markieren lassen, werden nach aktuellem Wissensstand als sogenannte "multi-potente" Vorläuferzellen angesehen, aus denen verschiedenste Zelltypen entstehen kön-nen. Die von Dr. Rolf und seinen Kollegen beschriebenen Experimente untermauern die Hypothese, dass es sich bei der jährlichen Geweihregeneration insgesamt um einen stammzell-basierten Regenerationsprozess handeln muss. Allem Anschein nach liegt die Ursache für die besonderen Fähigkeiten des Geweihknochengewebes im höchst kompli-zierten Zusammenwirken verschiedener Zelltypen. Dabei sind offensichtlich Stammzellen/Vorläuferzellen erheblich an der Geweihregeneration beteiligt.

Zudem bestätigen die vorgelegten Ergebnisse die Vermutung, dass die jährliche Regeneration des Geweihknochens mit einer Vermehrung von Stammzellen/Vorläuferzellen beginnt und diese an der Geweihbasis in der Knochenhaut (periost) des 'Rosenstocks' angesiedelt sind. In neueren wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Stammzell-Populationen im Körper in sogenannten "Nischen" existieren, das sind spezielle Bereiche in den Körpergeweben, die bei Bedarf für notwendige Geweberegenerationen aktiviert werden können.

Die Göttinger Wissenschaftler nehmen deshalb an, dass auch bei Hirschen so eine "Stammzell-Nische" in der Knochenhaut des Stirnzapfens vorhanden ist und dass die jährliche Regeneration des Geweihs von einer periodischen Aktivierung dieser Stammzellen/Vorläuferzellen abhängt.

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