Freiburger Forscher entdecken neuen Effekt von Insulin
Bislang unbekannte Funktion bei der Alterung
Die Studie, die in Cell erschienen ist, zeigt, dass Insulin über ein vor kurzem von der Freiburger Gruppe beschriebenes Enzym einen der wichtigsten zellulären Stressregulatoren, ein Protein namens SKN-1, in den Zellen blockiert. Im Experiment führte die Aktivierung von SKN-1 zur Verlängerung der Lebenserwartung. SKN-1 kontrolliert dabei ein in der Medizin als Phase-2-Detoxifizierung bekanntes genetisches Netzwerk, das Zellen und Gewebe vor oxidativem Stress schützt. Dieser Stress entsteht durch erhöhte Mengen an freien Radikalen, Nebenprodukten des Zellstoffwechsels, und wird auch durch verschiedene Umweltgifte hervorgerufen. Die jüngste Entdeckung wurde im Rahmen von Experimenten im Verdauungstrakt des Fadenwurms C. elegans gemacht, der bereits häufig als Modellorganismus für menschliche Krankheiten des Alterns benutzt wurde.
Die Freiburger Forscher um Professor Dr. Ralf Baumeister hatten erst vor vier Jahren ein Gen gefunden, das ein entscheidendes Enzym namens SGK-1 produziert und im Insulinweg für die Steuerung des zellulären Alterungsprogramms sorgt. "Zur selben Zeit entdeckten unsere Kollegen am Joslin Diabetes Zentrum der Harvard Medical School, dass der Stressregulator SKN-1 ebenfalls einen Einfluss auf die Lebenserwartung hat", erklärt Baumeister, einer der Autoren der neuen Studie. "Nichts lag also näher, als unsere Daten zu vergleichen und gemeinsam weiterzuforschen. Dabei entdeckten wir, dass wir uns demselben Phänomen von zwei Seiten genähert hatten".
Diese neu gefundene Rolle von Insulin sollte berücksichtigt werden, wenn man an die vielfältigen Aufgaben von Insulin im Körper denkt. Die Veröffentlichung legt nahe, dass Insulin unter bestimmten Umständen die Abwehr gegen die schädlichen Einflüsse von oxidativem Stress stärker reduzieren kann als bislang angenommen wurde.
Man hofft jetzt, dass die präzise Regulation der SKN-1 Aktivität die Abwehrkräfte gegen chronische Erkrankungen und die Lebenserwartung steigern könnte. Die Arbeit könnte daher wichtig werden für das Verständnis von Diabetes und den vielen mit dieser Erkrankung verbundenen Komplikation, zu denen Arteriosklerose - Erkrankungen der Blutgefäße - und Nierenversagen zählen.
"Den größten Einfluss hat diese Forschung aber auf unser Verständnis von Alterungsvorgängen", betont Baumeister. "Obwohl wir bereits seit den neunziger Jahren wissen, dass der Insulinweg eine wichtige Rolle für die Zellalterung von vielen Organismen spielt, sind die meisten Details immer noch unbekannt." Die Forscher gingen bislang stets davon aus, dass das Alterungsprogramm allein über einen einzelnen Genschalter namens FOXO vermittelt wird, den Insulin meistens im ausgeschalteten Zustand hält. FOXO ist wichtig für den Stoffwechsel bei Diabetes, für Tumorsuppression und für die Erhaltung von Stammzellen. Darüber hinaus steuert FOXO auch Gene, die an der Stressabwehr beteiligt sind. Reduziert man in C. elegans das Insulinsignal, etwa über Manipulation von SGK-1, so wird dort ebenfalls ein FOXO Protein namens DAF-16 aktiviert, das wirksam gegen Stress ist und einen Anti-Aging Effekt hervorruft.
Die Neuentdeckung ist nun, dass mit dem SKN-1 ein zweiter Schalter existiert, der, unabhängig von FOXO durch Insulin inhibiert wird. SKN-1 steuert den neuen Erkenntnissen zufolge völlig andere genetische Mechanismen, die Stress abwehren und Leben verlängern. "So ähnlich wie wir müssen sich Archäologen fühlen, die eine verborgene Schatzkammer entdeckt haben. Es genügt, SKN-1 zu aktivieren, und der Wurm lebt länger!" meint Baumeister, der als Direktor des Freiburger Zentrums für Biosystemanalyse ZBSA jetzt das komplexe Regulationsnetzwerk der beteiligten Gene untersuchen will.
Die Experimente sollen jetzt an Mäusen wiederholt werden, wo Insulin und ein dem Insulin ähnlicher Wachstumsfaktor IGF in einem komplizierten und noch nicht vollständig verstandenen Zusammenhang stehen. Immerhin, so bemerken die Autoren der Forschungsarbeit übereinstimmend, haben die C. elegans Experimente in der Vergangenheit häufig gezeigt, dass sich die gefundenen Erkenntnisse auch in Maus und Mensch bestätigen ließen.
Originalveröffentlichung: Jennifer M.A. Tullet, Maren Hertweck, Jae Hyung An, Joseph Baker, Ji Yun Hwang, Shu Liu, Riva P. Oliveira, Ralf Baumeister, and T. Keith Blackwell; Cell, Volume 132, Issue 6 vom 21. März 2008.