Trendbericht Life Sciences und Diagnostik: Chips und Snips für die personalisierte Medizin
Die Wirkung vieler Medikamente variiert von Fall zu Fall. Was den einen heilt, versagt bei einem anderen - oder führt gar zu gravierenden Nebenwirkungen. Der Grund: Kaum eine Arznei berücksichtigt die genetischen Unterschiede zwischen den Patienten. Dabei können schon geringste Abweichungen im Erbgut die Wirkung und den Abbau von Medikamenten verzögern oder beschleunigen. Dank molekularbiologischer Diagnostik sollen Therapien zukünftig dem individuellen Genprofil eines Patienten maßgeschneidert, die Dosis eines Medikaments dem persönlichen Stoffwechsel angepasst werden. Das Schlagwort lautet "personalisierte Medizin".
Biochips steigern Therapieerfolg
Im Zentrum der personalisierten Medizin stehen DNA-Chips. Beispiel Brustkrebs: Mit einem Microarray von Eppendorf sollen Mediziner künftig feststellen können, welche Patientin sich nach der operativen Entfernung des Knotens einer Bestrahlung oder Chemotherapie unterziehen muss - und welche als geheilt gilt und sich die strapaziöse Behandlung sparen kann. Der Brustkrebschip trägt über 200 Gene, die Typ und Stadium eines Tumors charakterisieren.
Auch die Aids-Therapie könnten Biochips verbessern. Problematisch ist hier die Wandlungsfähigkeit des Virus, die pharmazeutischen Wirkstoffen die Schlagkraft nimmt. Biochips klären solche Resistenzen ab, indem sie das Genom des Virus analysieren. Wirkungslose Medikamente werden dann gar nicht erst verabreicht.
Die Wahl der optimalen Arznei in der richtigen Dosis erleichtert auch ein Genchip von Roche. Der AmpliChip CYP 450, in den USA und Europa bereits für die Diagnostik zugelassen, erkennt Abweichungen in zwei Genen, die für Leberenzyme der Gruppe Cytochrom P450 kodieren. Patienten mit einer Variation in diesen Genen bauen beispielsweise blutdrucksenkende Betablocker zu schnell oder zu langsam ab. Dank Gencheck kann der Arzt die medikamentöse Behandlung dem individuellen Stoffwechsel seines Patienten anpassen. Weitere AmpliChips befinden sich in der Entwicklung: Der AmpliChip p53 beispielsweise, der Fehler im Tumorsuppressor-Gen p53 aufdeckt, soll die Aggressivität eines Tumors erkennen und die Krebstherapie individualisieren.
Noch ist die Gendiagnostik spezialisierten Labors vorenthalten. Doch die analytica 2008 zeigt: Die Chiptechnik wird immer anwenderfreundlicher. Detektionskits mit gebrauchsfertigen Reagenzien, All-in-one-Konzepte - bestehend aus Microarrays, Hybridisierstation, Scanner und Analysensoftware - sowie die fortschreitende Automatisierung erleichtern der Chiptechnik den Einzug in den klinischen Alltag. In Zeiten knapper Kassen im Gesundheitswesen spielen dabei die Kosten eine wesentliche Rolle. Als preislich attraktive Alternative zu den gängigen Fluoreszenz-Scannern sind bereits Systeme auf dem Markt, welche die Hybridisierung elektrochemisch oder über eine Silberpräzipitation an Goldnanopartikeln nachweisen.
Minifehler im Erbgut aufklären
Dass Patienten trotz 99,9-prozentiger genetischer Übereinstimmung überhaupt unterschiedlich auf eine Therapie ansprechen, liegt häufig an Single Nucleotide Polymorphisms (SNP). Ein SNP ist ein Minifehler im Text des genetischen Bauplans: Nur ein Buchstabe, also eine Base, ist ausgetauscht. Zehn Millionen SNPs gibt es im menschlichen Genom, vermuten Experten. Oft sind SNPs die Ursache von Krankheiten.
Das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) will jetzt 25.000 Patienten und Kontrollpersonen mit DNA-Chips untersuchen. So wollen die Wissenschaftler die genetischen Ursachen von Übergewicht, Alzheimer und Neurodermitis, Schizophrenie, Tuberkulose und vielen anderen Krankheiten aufklären. "Dies ist der Einstieg in eine neue Welt der Genetik, die zu der Entwicklung besserer Behandlungsmöglichkeiten führen wird", sagt Peter Nürnberg, Professor für Genomik an der Kölner Universität und Koordinator der Genotypisierungsplattform im NGFN. Über 20.000 Einzeldaten werden er und seine Kollegen erheben; die verwendeten Chips weisen mehr als eine halbe Million SNPs sowie weitere Genvariationen nach. Solche Large-Scale-Projekte lassen sich nur mit modernsten Werkzeugen der Bioanalytik, Molekularbiologie und Informationstechnologie bewältigen.
Kosten dämmen im Gesundheitswesen
Da selbst ein fehlerfreies aktives Gen noch kein Garant für ein korrekt funktionierendes Protein ist, lautet eine wesentliche Frage: Welche Genprodukte, also welche Proteine, wirken tatsächlich in der Zelle? Die Antwort liefern neben klassischen Analysenmethoden wie Elektrophorese, Chromatographie und Massenspektrometrie zunehmend auch Protein-Biochips. Mit ihnen bestimmen Wissenschaftler beispielsweise spezifische Antikörper oder Proteine, die sich als Biomarker für eine genauere Diagnostik eignen.
Pharmaforschern liefert die Entschlüsselung der Proteine Angriffspunkte für neue Wirkstoffe. Mit Biomarker-Tests, die ungeeignete Wirkstoffkandidaten aussieben, bevor diese aufwändig am Patienten getestet werden, können Unternehmen außerdem erhebliche Kosten sparen. Von dem Trend zu einer personalisierten Medizin profitieren die Arzneihersteller noch in anderer Hinsicht: Manches Blockbuster-Medikament wäre heute noch auf dem Markt, wenn sich jene Patienten ausfiltern und alternativ behandeln ließen, die genetisch bedingt zu Unverträglichkeitsreaktionen neigen.