Hirntumore können Immunsystem lahm legen - Erste Tierversuche, Blockade mit RNA-Interferenz aufzuheben

11.12.2006

Glioblastome sind außerordentlich bösartige, sehr schnellwachsende Gehirntumore. Sie schütten nicht nur Substanzen aus, um ihre Blutversorgung zu sichern, sondern auch Botenstoffe, die sie vor Angriffen des Immunsystems schützen. Auf der Tagung Brain Tumor 2006 des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und des Helios Klinikums Berlin-Buch berichtete Prof. Michael Weller, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeine Neurologie am Universitätsklinikum Tübingen, dass es im Tierversuch möglich ist, mit Hilfe der "RNA-Interferenz" (RNAi) das Gen für einen zentralen Vertreter dieser Botenstoffe, den Transforming Growth Factor-beta (TGF-beta), auszuschalten und damit die Blockade des Immunsystems aufzuheben. Bei allen Mäusen mit Glioblastom, bei denen die Forscher das TGF-beta Gen ausgeschaltet hatten, wurden die Tumore vollständig abgebaut und alle Mäuse überlebten. Diese Ergebnisse könnten nach Ansicht von Prof. Weller auch den Weg für Impfungen gegen Gehirntumore öffnen, weil nur ein intaktes Immunsystem in der Lage ist, auf eine Impfung mit einer entsprechenden Immunantwort zu reagieren.

Tumore im Gehirn werden von den Zellen des Immunsystems weniger stark angegriffen, als Tumore im restlichen Körper. Grund dafür ist unter anderem die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn zum Beispiel vor Krankheitserregern, die mit dem Blut transportiert werden, schützt. Das bedeutet zugleich aber auch, dass wegen dieser Barriere das Gehirn weniger gut für das Immunsystem zugänglich ist, als andere Bereiche des Körpers. Die Forschung nahm deshalb lange Zeit an, das Immunsystem sei im Gehirn nicht aktiv.

In den vergangenen Jahren konnten Wissenschaftler jedoch zunehmend auch Immunreaktionen im Gehirn nachweisen. Die Erkrankung Multiple Sklerose zum Beispiel lässt sich auf eine überschießende Immunreaktion auch im Gehirn zurückführen. Weiter konnten Wissenschaftler zeigen, dass sich Hirntumorzellen gegen Angriffe des Immunsystems wehren. Sie produzieren Botenstoffe, die das Immunsystem der Patienten hemmen. Eine Vielzahl solcher Moleküle haben Forscher bereits identifiziert, unter anderem Substanzen mit so komplizierten Namen wie Transforming Growth Factor-beta (TGF-beta), den Regeneration and Tolerance Factor (RTF) und das lösliche Oberflächen-Antigen HLA-G.

Prof. Weller arbeitet seit 1995 in Tübingen daran, den Botenstoff TGF-beta gezielt auszuschalten, damit das Immunsystem die Tumorzellen wieder erkennen und angreifen kann. In Versuchen mit Mäusen und Ratten blockierten seine Mitarbeiter das Gen für TGF-beta mit Hilfe einer Methode, die RNA-Interferenz (RNAi) genannt wird. RNA steht für Ribonukleinsäure. Es ist ein Molekül, das den in einem Gen enthaltenen Bauplan für ein Protein, der in DNA "geschrieben" ist, in die Sprache der Eiweiße (Aminosäuren) übersetzt. Die RNAi ist ein gegenläufiger RNA-Strang. Er bindet an den RNA-Strang des in dem Tumor angeschalteten TGF-beta-Gens und blockiert ihn. Dadurch verhindert die RNAi, dass der in dem Gen enthaltene Bauplan für das TGF-beta-Gen in ein Protein umgesetzt werden kann. Das Gen wird quasi stillgelegt.

Prof. Weller konnte weiter zeigen, dass bestimmte Zellen des Immunsystems, wie Lymphozyten und natürliche Killerzellen, die Tumorzellen erkennen und zerstören können. Um zu verhindern, dass der Tumor erneut ausbricht, versuchen die Forscher derzeit in einem weiteren Schritt, die Mäuse zusätzlich mit abgetöteten Tumorzellen zu impfen. "Diese Tumorzellen können sich nicht mehr teilen, sie bilden deswegen keine Gefahr für den Organismus", betont Prof. Weller. Aber auf ihrer Oberfläche tragen die abgetöteten Tumorzellen die gleichen Merkmale, wie "normale" Tumorzellen, weswegen sie das Immunsystem trotzdem stimulieren können. Erst wenn das Immunsystem nicht mehr durch TGF-beta gehemmt wird, lässt sich eine wirksame Immunantwort durch solche Impfungen hervorrufen. "Derartige Strategien sind allerdings als rein experimentell zu betrachten, da bisher nur am Tiermodell geforscht wird und die verwendeten Methoden noch nicht auf Patienten übertragbar sind", hob Prof. Weller hervor.

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