Nobelpreis für Gen-Stummschaltung - Therapien für Aids und Schnupfen?
(dpa) - Für ein zukunftsweisendes Universalwerkzeug der Gentechnik erhalten zwei US-Forscher den Medizin-Nobelpreis 2006. Andrew Z. Fire von der Stanford University in Kalifornien und Craig C. Mello von der Massachusetts Medical School in Worcester werden für ihre Arbeiten zur gezielten Stummschaltung von Genen ausgezeichnet. Das teilte das Karolinska- Institut am Montag in Stockholm mit. Die so genannte RNA-Interferenz bietet auch einen völlig neuen Ansatzpunkt für mögliche Therapien gegen Krebs, Aids, Parkinson oder Herzleiden.
Mit dem Verfahren kann der Fluss genetischer Information gezielt unterbrochen werden. «Das Pfiffige an ihrer Entdeckung ist, dass sie die Mittel der Natur selbst zur Anwendung bringt», sagte der Sprecher des Nobelkomitees, Hans Jörnvall, der dpa in Stockholm. «Dies eröffnet fantastische Möglichkeiten. Natürlich dauert es noch etliche Jahre, bis wir daraus Arzneimittel bekommen werden. Aber die Prinzipien sind klar.» Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist in diesem Jahr mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.
Der vierfache Vater Mello (45) erfuhr die Nachricht am frühen Morgen in seinem Haus in Boston, kurz vor dem Start zum täglichen Jogging: «Ich war total überrascht», sagte er der dpa. Hielt er sich doch noch für «viel zu jung» und seinen Erfolg für «viel zu frisch». Fire (Jg. 1959) zeigte sich im schwedischen Rundfunk begeistert über die Neuigkeit: «Zuerst dachte ich, das sei ein Traum oder ein Fehler, aber das ist es wohl doch nicht.»
Ihr Fachkollege Anthony Hyman, Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, freute sich: «Das ist ein Super-Ergebnis. Beide Wissenschaftler haben nur kleine Labore mit wenig Ressourcen und wenig Mitarbeitern. Und sie waren jung, als sie die RNA-Interferenz entdeckten. Das gibt es selten, dass eine Entdeckung so schnell so weite Kreise zieht.» Thomas Meyer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, sagte, grundlagenwissenschaftlich habe die Entdeckung «eine Lawine in Gang gebracht».
Die RNA ist eine Kopie des Erbguts und damit Bauanleitung für Proteine, die fast alle Funktionen im Organismus steuern. Im Gegensatz zur doppelsträngigen DNA kommt sie normalerweise einsträngig vor. Im Jahr 1998 publizierten Fire und Mello - damals beide noch keine 40 Jahre alt - ihre vielbeachtete Entdeckung, die sie an winzigen Fadenwürmern machten, im Fachjournal «Nature». 2002 wurde das Verfahren vom Fachjournal «Science» als «Durchbruch des Jahres» gefeiert und befeuert seitdem die Biotech-Branche: Gene lassen sich demnach gezielt ausschalten, wenn künstlich produzierte doppelsträngige RNA-Stücke in die Zellen gebracht werden.
In der Tat ist die RNA-Interferenz (RNAi) ein bereits in der Natur vorkommendes Prinzip, mit dem sich vor allem niedere Organismen vor Viren schützen, die ihr Erbgut in die Zellen einschleusen wollen. Auch das gesteuerte An- und Ausschalten von Genen im Laufe der menschlichen Entwicklung, die Genexpression, wird mit der RNAi gesteuert. Die Forscher haben damit nun ein Werkzeug an der Hand, um durch punktuelles Ausschalten zu prüfen, wofür ein Gen zuständig ist.
So konnte im Tierversuch bereits ein Gen stummgeschaltet werden, das für einen hohen Cholesterinspiegel verantwortlich ist. Auch Schnupfenviren ließen sich via RNAi schon ausschalten. In menschlichen Zellkulturen haben Forscher damit schon jedes einzelne Protein des Aidserregers HIV unterdrückt und so die Vermehrung des Virus stark gebremst.
Erst vor wenigen Monaten hatten Fire und Mello auch die höchste deutsche Medizin-Auszeichnung bekommen, den Paul-Ehrlich- und Ludwig- Darmstaedter-Preis. Am Dienstag werden die Träger des Physik- und am Mittwoch die des Chemie-Nobelpreises bekannt gegeben. Die Auszeichnungen werden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, in Stockholm überreicht.