Amerikaner alarmiert: Impfstoff gegen Grippe fehlt für Millionen

07.10.2004

Washington (dpa) - Nun wird sich zeigen, wie solidarisch die Amerikaner sind: US-Gesundheitsminister Tommy Thompson beschwor die US-Öffentlichkeit, angesichts eines unerwarteten Mangels an Grippeimpfstoffen zunächst den besonders gefährdeten Menschen den Vortritt zu lassen: Kindern, Schwangeren, Alten und gesundheitlich angegriffenen Menschen.

Wenige Wochen vor dem üblichen Beginn der «Grippe-Saison», der in den USA normalerweise jährlich etwa 36 000 Menschen zum Opfer fallen, ist klar, dass zig-Millionen ohne Schutzimpfung bleiben werden. «Das sind wirklich sehr enttäuschende Nachrichten, die für uns eine ernste Herausforderung darstellen», meinte Thompson kürzlich vor der Presse. Mit der Überschrift «Nur keine Panik» versuchte der «Herald Boston» seine Leser zu beruhigen.

Gesundheitsexperten äußerten massive Zweifel, ob es gelingen könne, die Risikogruppen auf Grund bürokratischer Anordnungen bevorzugt zu versorgen. «Der vorhandene Impfstoff liegt in den Arztpraxen, Gesundheitszentren und Krankenhäusern im ganzen Land - eine zentrale Steuerung ist kaum vorstellbar», sagte der Direktor des Nationalen Impfprogramms, Bruce Gellin, im Nationalen Radio NPR. Also werde es an den überwiegend gesunden und robusten Bürgern liegen, ob sie andere vorlassen. Verschiedene regionale Zeitungen wie die «Baltimore sun» berichteten aber bereits am Mittwoch von einem Ansturm auf Praxen und Apotheken nach Grippe-Impfstoffen.

Hintergrund der überraschenden Entwicklung ist der Zusammenbruch der Impfstoff-Versorgung durch das Pharma-Unternehmen Chiron Emeryville (Kalifornien). Die Pharma-Aufsichtsbehörde in Großbritannien hatte Chiron die Lizenz zur Produktion des Grippeimpfstoffs «Fluvirin» in Liverpool für drei Monate entzogen, weil das Produktionsverfahren nicht mit den Vorschriften im Einklang stehe. Aus der englischen Fabrik stammt mit 48 Millionen Dosen rund die Hälfte des für die USA benötigten Impfstoffs. Der Ausfall lässt sich für diesen Winter nicht mehr ausgleichen, da es Monate dauert, um Grippeimpfstoffe herzustellen.

Schon im vergangenen Winter hatte es in den USA erhebliche Versorgungslücken gegeben. Angesichts einer besonders schweren und lange dauernden Grippewelle hatten die 87 Millionen Dosen nicht gereicht. Nun waren 100 Millionen Impfungen vorgesehen - jetzt stehen laut der «New York Times» bloß noch etwa 54 Millionen zur Verfügung.

Als einen Grund für die plötzliche Krise bei der Impfstoffversorgung nennen Experten die mangelnde wirtschaftliche Attraktivität der Produktion. Sie dauere Monate und wenn dann nicht alles in einer Saison verkauft wird, müssen Millionen Dosen weggeschmissen werden - genau das war 2002 passiert.

Die US-Gesundheitsbehörden werden nun auf dem völlig falschen Fuß erwischt: Denn sie sorgten sich in diesem Jahr besonders um die mögliche Ausbreitung des aus Asien stammenden Vogelgrippe-Virus. Dafür war auch schon ein Notfallplan präsentiert worden. Bis zu 207.000 Tote wurden im schlimmsten Szenario einkalkuliert. Nun droht laut dem NPR-Bericht eine drastische Erhöhung der Sterbefälle wegen ganz normaler Grippeerkrankungen.

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