Parvoviren bekämpfen Hirntumor

Tönnis-Forschungsstipendium an Heidelberger Neurochirurgen zur Weiterentwicklung neuer Therapiestrategien beim Glioblastom verliehen

26.07.2004

Die Erfolgschancen der Behandlung sind minimal: Weder Operation noch Chemotherapie oder Bestrahlung können das rapide Wachstum des sehr bösartigen Glioblastoms, eines Hirntumors, an dem jährlich rund 2.000 Menschen in Deutschland erkranken, verhindern. Deshalb werden mit Nachdruck neue Therapiestrategien erforscht.

Ein möglicher Behandlungsansatz wird derzeit in Heidelberg erprobt. Durch die Injektion von speziellen Viren in den Hirntumor sollen die Krebszellen abgetötet und das Wachstum gestoppt werden. Die Wissenschaftlergruppe aus dem Universitätsklinikum und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat jetzt nachgewiesen, dass normalerweise harmlose Parvoviren in Kulturen von Hirntumorzellen zerstörerische Wirkung entfalten.

Dr. Karsten Geletneky, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistenzarzt der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg, hat von der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie bei ihrer Jahrestagung "aufgrund exzellenter wissenschaftlicher Arbeiten" das "Tönnis-Stipendium zugesprochen bekommen. Mit seiner Hilfe wird er sein zukunftsweisendes Forschungsprojekt bei einem dreimonatigen Aufenthalt an der University of California in San Francisco vertiefen. Eine klinische Erprobung ist für die nächsten Jahre geplant.

Beim Glioblastom ist die herkömmliche Tumortherapie nicht befriedigend

Das Glioblastom geht von Gliazellen, den Stützzellen des Gehirns, aus. "Die Tumoren sind extrem schwer zu behandeln", erklärt Professor Dr. Andreas Unterberg, Ärztlicher Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Der Tumor kann nur dann operativ entfernt werden, wenn dadurch keine schweren Schäden im benachbarten gesunden Hirngewebe gesetzt werden. Aber auch nach einer Operation bleiben fast immer Tumorzellen zurück und nehmen ihr rapides Wachstum rasch wieder auf. Auch eine zusätzliche Chemo- oder Strahlentherapie verhindert dies nicht. "Derzeit überleben nur 50 Prozent der Patienten das erste Jahr", sagt Professor Unterberg.

Parvoviren könnten zu einer wirksamen Waffe gegen den gefährlichen Tumor werden, denn sie verfügen über besondere Fähigkeiten: Die winzigen, hüllenlosen Erreger können sich in Tumorzellen vermehren und diese abtöten. Die Heidelberger Arbeitsgruppe, der neben Dr. Geletneky auch Dr. Marta Herrero y Calle (jetzt in der Neurochirurgischen Klinik in Freiburg), und aus dem DKFZ Dr. Jan Cornelis und Professor Jörg R. Schlehofer aus der Abteilung von Professor Jean Rommelaere angehören, beschäftigt sich mit einem bestimmten Typ der Parvoviren, die vor allem Nagetiere befallen, dem H-1 Virus.

Erstmals konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die zerstörerische Wirkung des H-1 Virus besonders ausgeprägt in Zellen bösartiger Hirntumoren auftritt und bereits eine geringe "Virendosis" dafür ausreichend ist. "Die Viren beginnen bereits innerhalb von 24 Stunden mit ihrer Vermehrung und töten die Tumorzellen rasch ab", sagt Dr. Geletneky.

Warum die Viren als Zellkiller agieren, ist nicht klar, hängt möglicherweise aber mit einem bestimmten viralen Eiweißstoff, dem NS-1 Protein, zusammen. Die wegweisenden Ergebnisse der Heidelberger Untersuchung wurden kürzlich im "International Journal of Cancer" veröffentlicht.

Weitere Tests mit genetisch veränderten Viren?

Ziel der Forschungsarbeiten ist der klinische Test des bisher getesteten H-1 Virus bei Patienten. Dabei sollen die Viren zielgerichtet direkt in den Hirntumor injiziert werden. "Der Vorteil einer Anwendung bei Glioblastomen ist, dass die Tumorerkrankung im Gegensatz z.B. zum Pankreaskarzinom, bei dem Parvoviren ebenfalls untersucht werden, fast immer auf das Gehirn beschränkt ist" stellt Dr. Geletneky fest. "Wir können daher die Viren in hoher Dosierung direkt an den Ort der Erkrankung bringen."

Doch gibt es auch weiterführende Perspektiven: Die Forscher ziehen Virusvarianten in Betracht, z.B. Parvoviren, in deren Erbgut spezielle Gene eingeschleust wurden, die eine Immunantwort gegen die Krebszellen auslösen oder einen Giftstoff produzieren, der die Zelle abtötet. Ebenso wichtig ist natürlich, vorab zu klären: Können die Viren dem Patienten schaden? "In Tierversuchen haben die ins Gehirn injizierten Viren bislang keinerlei entzündliche oder toxische Reaktion hervorgerufen", sagt Dr. Geletneky.

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