Arzneistoff kommt aus polymerer Linse
Nahezu 20 Millionen Menschen weltweit sind nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation von 1998 an den Folgen des so genannten Grauen Stars beidseitig erblindet. Der Graue Star, in der Fachsprache Katarakt genannt, wird durch eine operative Entfernung der getrübten Linse behandelt. Wurden früher noch Starbrillen oder Kontaktlinsen zur Korrektur der fehlerhaften Augenoptik verwendet, hat sich inzwischen eine neue Standardmethode durchgesetzt: das Einsetzen von polymeren Linsenimplantaten in das betroffene Auge. Allein in Deutschland werden jährlich schätzungsweise 400 000 Intraokularlinsen durch eine Kataraktoperation implantiert.
Eine wesentliche Komplikation bei solchen Kataraktoperationen stellt allerdings der so genannte "Nachstar" (sekundärer Katarakt) dar. Davon betroffen sind in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren nach der Operation zwischen 10 und 50 % der behandelten Patienten.
Beim sekundären Katarakt handelt es sich um die Proliferation von Linsenepithelzellen auf der Rückseite des Implantats. Derartige Epithelmembranen können heute mit der so genannten Laser-Kapsulotomie zerstört werden. Dabei kann es jedoch an der Intraokularlinse zu Materialveränderungen kommen, die medizinische Komplikationen zur Folge haben - insbesondere Netzhautablösungen und Makula-Ödeme.
In den Arbeitsgruppen von Professor Norbert Hampp (Institut für Physikalische Chemie) und Professor Andreas Greiner (Institut für Makromulekulare Chemie) ist aktuell ein neues polymeres Linsenmaterial auf Methacrylat-Basis entwickelt worden, das als Wirkstoff-Depot zur medikamentösen Behandlung des Nachstars genutzt werden kann. Als Wirkstoff dient das bereits in klinischen Untersuchungen erfolgreich getestete Cytostatikum 5-Fluoruracil. Dieser Wirkstoff wird photochemisch durch einen Zwei-Photonen-Prozess mit Hilfe von gepulsten Lasersystemen freigesetzt. Diese Laserbehandlung stellt einen kurzen, nichtinvasiven und kostengünstigen Eingriff dar.
Im Gegensatz zu bereits bekannten "sustained release"-Materialien erfolgt die Behandlung nach der neuen Marburger Methode, die in Zusammenarbeit mit Privatdozent Dr. Lutz Hesse von der Augenklinik Heilbronn entwickelt wurde, nur im Bedarfsfall. Dadurch wird eine Störung des postoperativen Heilungsprozesses durch frühzeitig freigesetztes Medikament vermieden.
Der Vorteil der Wirkstofffreisetzung mittels eines Zwei-Photonen-Prozesses liegt vor allem darin, dass die Freisetzungsreaktion im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichts erfolgen kann. Dies erlaubt eine nichtinvasive Behandlung in einem Bereich des menschlichen Körpers, der sonst nur schwer zugänglich ist. Eine ungewollte Photoreaktion infolge der alltäglichen Sonnenlichteinstrahlung ist jedoch ausgeschlossen.
Außerdem kann durch die Zwei-Photonen-Reaktion die Freisetzung des Wirkstoffes räumlich und zeitlich genau gesteuert werden. Auf diese Weise ist eine kontrollierte Einstellung der Wirkstoffdosis möglich. Zudem kann die Behandlung im Bedarfsfall mehrfach wiederholt werden.
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