Warum erhöhen psychiatrische Erkrankungen in jungen Jahren das Demenzrisiko im Alter?

30.08.2017 - Deutschland

Göttinger Forscher enträtseln Zusammenhang zwischen psychiatrischen Erkrankungen in der Jugend und dem Risiko, im Alter an der Alzheimerdemenz zu erkranken. Sie haben einen Ansatzpunkt gefunden, wie sich die molekulare Ursache behandeln ließe.

F. Sananbenesi

Nervenzellen des Hippokampus, einer Hirnregion, die bei Lernprozessen entscheidend ist. Grün dargestellt ist das Formin 2 Protein

Kriegs- oder Fluchterlebnisse, Unfälle, schwere Verluste oder Ängste können krank machen. Wer mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, Angststörungen oder anderen psychiatrischen Erkrankungen reagiert, hat ein erhöhtes Risiko, im Alter eine Demenz zu entwickeln. Der Zusammenhang ist bekannt. Warum und wie genau es dazu kommt, ist bisher unverstanden.

Göttinger Forscher haben jetzt einen Faktor entdeckt, der den Zusammenhang erklären kann. Ihre Untersuchungen an Mäusen und an Menschen zeigen, dass die Fehlfunktion des Proteins Formin 2 an der Entstehung von Angststörungen, insbesondere der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB), beteiligt ist. Formin 2 reguliert die Kommunikation von Nervenzellen. Die Fehlfunktion des Proteins bei PTSB führt nicht zur Demenz. Jedoch in Kombination mit anderen Risikofaktoren für Morbus Alzheimer beeinträchtigt die Fehlfunktion von Formin 2 die Genaktivität der Nervenzellen, beschleunigt so Gedächtnisverlust und begünstigt die Entstehung von Alzheimer. Medikamente. die die Genaktivität der Nervenzellen positiv beeinflussen, können in diesem Szenario die Gedächtnisfunktion in Mäusen wieder herstellen. Die Forschungserkenntnisse stammen von Arbeitsgruppen um Dr. Farahnaz Sananbenesi und Prof. Dr. André Fischer. Beide Göttinger Forscher arbeiten an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Göttingen.

„Alzheimer entsteht durch das komplexe Zusammenwirken von genetischen und um-weltbedingten Risikofaktoren“, sagt Dr. Farahnaz Sananbenesi, eine der Seniorautoren der Publikation. „Wir haben die Hypothese aufgestellt, dass das Wechselspiel verschiedener Riskofaktoren letztlich immer zu einer spezifischen Veränderung der Gen-Aktivität in Hirnzellen führt und so zur Entstehung von Demenz beiträgt.“ Genau an diesem Punkt setzen die Forscher mit ihren Untersuchungen an.

Patienten, die in jungen Jahren z.B. an einer Angststörung, wie PTSB, erkrankt waren, haben bereits ab dem 65. Lebensjahr ein doppelt so hohes Risiko, Alzheimerdemenz zu entwickeln. Das Team um Dr. Sananbenesi konnte nun in aktuellen Studien zeigen, dass das Protein Formin 2 von PTSB-Patienten weniger stark produziert wird als von gesunden Personen. Mäuse, denen das Formin 2-Protein fehlt, entwickeln in jungem Alter PTSB-ähnliche Symptome. Das Abspeichern von neuen Gedächtnisinhalten ist in jungen Tieren aber nicht beeinträchtigt. Die Forscher waren überrascht zu sehen, dass PTSB-Mäuse mit vermindertem Formin 2-Gehalt während des Alterns sehr viel früher demenzähnliche Symptome entwickelten als entsprechende Kontrolltiere. Auch in Mäusen, die alzheimer-ähnliche Eiweißablagerungen entwickeln, beschleunigte ein verminderter Formin 2-Gehalt das Fortschreiten der Demenz dramatisch.

„Verschiedene Risikofaktoren für Alzheimer im Gehirn führen zu massiven Veränderungen der Genaktivität. Deshalb haben wir getestet, ob PTSB diese Prozesse zusätzlich negativ beeinflusst“, sagt Dr. Sananbenesi. Das Forscherteam konnte einen Mechanismus entschlüsseln: In Nervenzellen fanden sie das Formin 2-Protein nur an den Synapsen, also dem Teil der Nervenzelle, die direkt an der Übertragung von elektrischen Signalen beteiligt ist. Ist Formin 2 bei PTSB reduziert, sind nur spezielle Aspekte der synaptischen Übertragung betroffen. Fehlt das Formin 2-Protein aber während des Alterungsprozesses und kommen weitere Risikofaktoren für eine Demenz hinzu, führt dies schleichend zu einer gestörten Kommunikation zwischen der Synapse und dem Zellkern. „Da die Aktivität der Gene im Zellkern kontrolliert wird, ist die Folge ein noch schnellerer Kontrollverlust der Genaktivität. Deshalb können im ungünstigsten Fall PTSB-Patienten im Alter sehr viel früher die Fähigkeit verlieren, neue Gedächtnisinhalte abzuspeichern. Denn Lernprozesse bedürfen einer genauen Koordination der Gen-Aktivität“, sagt Prof. Dr. André Fischer, ebenfalls Seniorautor der Publikation.

Die Aktivität der Gene wird bei Lernprozessen u.a. durch die Aktivität von sogenannter Histon-Deacetylases vermittelt. Diese Eiweißstoffe kontrollieren die dreidimensionale Struktur des Erbguts. Das Team um Dr. Sananbenesi und Prof. Fischer konnte bereits in einer früheren Studie zeigen, dass Histon-Deacetylase-Inhibitoren als Mittel der Alzheimer-Therapie in Betracht gezogen werden sollten. In ihrer aktuellen Studie konnten sie nachweisen, dass diese Substanzen die Gedächtnisleistung in verschiedenen Alzheimer Mausmodellen wieder herstellen können. Dabei war es egal, ob der Gedächtnisverlust durch toxische Eiweißablagerungen, den Altersprozess oder durch eine Posttraumatische Belastungsstörung im frühen Lebensalter beeinflusst wurde.

„Dass unterschiedlichste Risikofaktoren für Alzheimer kombinatorisch wirken und letztlich über eine veränderte Genaktivität zur Demenz beitragen, hat sich jetzt auch in dem PTSB-Modell bestätigt. Die Ergebnisse sind für uns faszinierend“, so Dr. Sananbenesi. „Umgekehrt bedeutet dieser Befund, dass eine Therapie, die auf die Genaktivität abzielt, erfolgreich sein könnte – und zwar unabhängig von der genauen Kenntnis um die ursächlichen Auslöser der Krankheit.“

„Wir haben bereits erste Studien mit Histon-Deacetylases-Inhibitoren bei Alzheimer Patienten gestartet“, sagt Prof. Fischer. „Natürlich wollen wir irgendwann für jeden einzelnen Patienten eine maßgeschneiderte und bezahlbare Therapie. Bis dahin ist es aber noch ein sehr weiter Weg.“ Eine Therapie mit Histon-Deacetylases-Inhibitoren könnte sich als vielversprechende Alternative anbieten, die auch Patienten hilft, die sich bereits in einem späteren Stadium der Krankheit befinden.

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