Wie Bakterien schneller wachsen

Steigerung der Wachstumsgeschwindigkeit könnte Erträge von biotechnologischen Anwendungen optimieren

12.06.2017 - Deutschland

Neue Erkenntnisse zur Vermehrung eines biotechnologisch wichtigen Bodenbakteriums könnten helfen, die industrielle Produktion von Aminosäuren zu optimieren.

K. Böhm, M. Bramkamp

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von C. glutamicum. Während der Duplikation der DNA bilden sich Replikationsgabeln aus, die als rot fluoreszierende Signale zu sehen sind. In Grün sind die Replikationsursprünge markiert.

Das stäbchenförmige Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum spielt in der Biotechnologie eine wichtige Rolle, denn es produziert natürlicherweise Glutaminsäure und wird für die industrielle Produktion dieser und zahlreicher anderer Aminosäuren eingesetzt. Allerdings wachsen Corynebakterien im Vergleich zu Arten wie Escherichia coli nur langsam. Eine Steigerung der Wachstumsgeschwindigkeit könnte die Erträge von biotechnologischen Anwendungen optimieren. Der LMU-Mikrobiologe Professor Marc Bramkamp hat mit seinem Team den bisher weitgehend unbekannten Zellzyklus von C. glutamicum untersucht und wichtige Grundlagen dafür gelegt, das Bakterienwachstum zu steigern.

Bakterien vermehren sich durch Zellteilung. Dabei werden die Chromosomen der Mutterzelle vervielfältigt, indem der ursprüngliche DNA-Doppelstrang abschnittsweise in seine Einzelstränge getrennt wird. Der Bereich des DNA-Strangs, an dem die beiden Stränge getrennt werden, wird als Replikationsgabel bezeichnet. An den Einzelsträngen werden dann jeweils komplementäre Stränge neu gebildet und die duplizierten Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt. Bei manchen Bakterien, etwa E. coli, sind die Generationszeiten kürzer als die Zeitspanne, die sie brauchen, um das Chromosom zu verdoppeln. Die Mikroben nutzen dabei einen Trick: Sie initiieren bereits neue DNA-Replikationszyklen, bevor der vorherige komplett abgeschlossen ist. Die Tochterzellen erhalten dadurch teilweise duplizierte Chromosomen und setzen bereits zu einer erneuten Zellteilung an, während die vorherige Replikation der Erbsubstanz noch nicht vollends abgeschlossen ist. Dieser Vorgang wird als Multi-Fork-Replikation bezeichnet, weil ein DNA-Strang auf diese Weise mehrere Replikationsgabeln aufweist, an denen die Replikation unterschiedlich weit fortgeschritten ist.

Man war bisher allgemein der Ansicht, dass Corynebakterien langsam genug wachsen, dass die Chromosomen genügend Zeit haben, sich vor der Teilung zu vervielfältigen. Deshalb ging man davon aus, dass diese Bakterien keine Multi-Fork-Replikation haben. Mithilfe hochauflösender mikroskopischer Methoden haben die Forscher nun wachsende C. glutamicum-Zellen über viele Generationszyklen untersucht und dabei zu ihrer Überraschung entdeckt, dass auch diese Bakterien eine Multi-Fork-Replikation durchführen können. „Das ist eine wichtige Entdeckung, weil es damit prinzipiell möglich sein sollte, das Wachstum von C. glutamicum zu beschleunigen“, sagt Bramkamp. „Was die DNA-Vervielfältigung angeht, spricht jedenfalls nichts dagegen.“

Zudem haben die Wissenschaftler entdeckt, dass C. glutamicum einen doppelten Chromosomensatz besitzt. Bisher ging man davon aus, dass Bakterien bis auf wenige Ausnahmen nur jeweils einen Chromosomensatz haben. Ein doppelter Chromosomensatz verschafft Organismen einige Vorteile: Beispielsweise können DNA-Brüche oder Mutationen einfacher repariert werden, weil das nicht betroffene Chromosom als Matrize dienen kann. Das ist vor allem bei Bakterien wichtig, die potenziell DNA-schädigenden Faktoren wie UV-Licht ausgesetzt sind. Daher gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der mehrfache Chromosomensatz bei C. glutamicum eine Anpassung an Umweltstress ist.

Das Bakterium ist zudem ein naher Verwandter von gefährlichen Krankheitserregern, die unter anderem Diphtherie, Tuberkulose oder Lepra verursachen. „Da fundamentale zellbiologische Prozesse in sehr nahe verwandten Organismen häufig ähnlich sind, können wir mithilfe unserer Erkenntnisse auch Vorhersagen zum Wachstum dieser Krankheitserreger machen“, sagt Bramkamp. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten ihre Ergebnisse zum Zellwachstum möglicherweise auch dazu beitragen, neue therapeutische Optionen zu entwickeln, bei denen die DNA-Replikation in den Krankheitserregern gehemmt wird.

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