Leukämie und Hirntumoren in Mäusen gebremst

Substanz blockiert krebsspezifische Mutation

02.06.2017 - Deutschland

Der Austausch eines einzigen Aminosäure-Bausteins in einem Stoffwechselenzym kann Ursache für verschiedene Arten von Krebs sein. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Universitätsklinikum Heidelberg konnten in Zusammenarbeit mit der Firma Bayer nun einen Wirkstoffkandidaten entwickeln, der spezifisch das veränderte Enzym blockieren soll. Erste präklinische Studien zeigen eine Wirksamkeit der neuen Substanz bei Mäusen.

© Stefan Pusch/DKFZ

Zwei IDH1-Proteine (braun und hellblau) bilden ein Dimer. Der Wirkstoff BAY1436032 (gelb) bindet zwischen beiden Proteinketten.

© Stefan Pusch/DKFZ

So bindet BAY1436032 (gelb) an das mutierte Enzym IDH1.

© Stefan Pusch/DKFZ
© Stefan Pusch/DKFZ

Viele bösartige Tumoren entstehen als Folge von Erbgutveränderungen in einzelnen Zellen. Solche Genmutationen führen oft zu veränderten Proteinen, die der Zelle neue, wachstumsfördernde Eigenschaften verleihen. Geradezu ein Paradebeispiel für dieses Prinzip ist eine krebstypisch veränderte Form des Enzyms IDH1, die zunächst in bestimmten bösartigen Hirntumoren entdeckt worden war.

Wissenschaftlern war aufgefallen, dass die Mutationen der IDH1 (Isocitrat-Dehydrogenase 1) fast immer die Aminosäureposition 132 der Eiweißkette des Enzyms betreffen. Dieser Austausch führt dazu, dass die Zellen ein krebsförderndes Stoffwechselprodukt anhäufen. Nicht-mutierte IDH1-Enyzme in gesunden Zellen dagegen produzieren dieses Produkt nicht. „Das brachte uns auf die Idee, einen Wirkstoff zu entwickeln, der spezifisch die an Position 132 mutierte IDH1 hemmt. Unser Ziel ist ein Medikament, das Krebszellen trifft, gesunde Zellen mit dem normalen Enzym dagegen nicht beeinflusst“, erklärt Stefan Pusch vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

In einer Forschungsallianz mit der Firma Bayer ist es den DKFZ- und Bayer-Forschern gemeinsam tatsächlich gelungen, eine Substanz zu finden, die mutmaßlich hochselektiv ist. Der neue Wirkstoffkandidat BAY1436032 wird derzeit in umfangreichen präklinischen Tests auf seine Sicherheit und Wirksamkeit überprüft.

Leukämie und Hirntumoren in Mäusen gebremst

Die 132-Mutation der IDH1 wurde inzwischen außer in Hirntumoren (Oligodendrogliome, diffuse Astrozytome und ein kleinerer Anteil der Glioblastome) auch bei etwa zehn Prozent der akuten myeloischen Leukämien (AML) gefunden sowie bei Gallengangskarzinomen und bestimmten bösartigen Knochentumoren. Mit zwei aktuell publizierten Studien konnten die Heidelberger Forscher nun die Wirksamkeit von BAY1436032 gegen AML sowie gegen Hirntumoren (Astrozytome) bei Mäusen belegen.

Bei Behandlung mit BAY1436032 überlebten Mäuse, denen die Forscher menschliche Astrozytomzellen übertragen hatten, signifikant länger als unbehandelte Artgenossen. Der Wirkstoff, der über das Futter verabreicht werden kann, senkte in den Krebszellen deutlich die Konzentration des krebsfördernden Stoffwechselprodukts. „Selbst bei hoher Dosierung haben die Tiere die Substanz gut vertragen. BAY1436032 scheint tatsächlich spezifisch die mutierte IDH1 in den Krebszellen zu beeinflussen“, sagt Andreas von Deimling, Leiter einer Klinischen Kooperationseinheit im DKFZ und im Universitätsklinikum Heidelberg.

Auch die Tests gegen AML verliefen erfolgreich: Mäuse, denen IDH1-mutierte menschliche Leukämiezellen übertragen worden waren, lebten mit BAY1436032-Behandlung länger als unbehandelte Tiere. Auch die Anzahl der Leukämie-Stammzellen in ihrem Knochenmark ging signifikant zurück.

Krebszellen verlieren Stammzell-Eigenschaften

„Vieles deutet darauf hin, dass BAY1436032 nicht zytotoxisch auf die Tumorzellen wirkt, sondern sie zu normalen Blutzellen ausreifen lässt“, sagt Alwin Krämer. Der Hämatoonkologe leitet eine Klinische Kooperationseinheit des DKFZ und des Universitätsklinikums Heidelberg. Diese Beobachtung bestätigt Andreas von Deimling, der die präklinische Studie an Gliomen geleitet hat: „Die Krebszellen in den untersuchten Mäusen verloren ihre gefährlichen Stammzell-Eigenschaften und entwickelten sich zu Vorläufern normaler Hirnzellen.“

Da an der Aminosäureposition 132 des Enzyms IDH1 eine Reihe verschiedener Mutationen bekannt ist, testete das Forscherteam BAY1436032 auch gegen diese Varianten. In biochemischen Tests und Zellkultur-Untersuchungen erwies sich die Substanz als wirksam gegen alle bislang bekannten Mutationen an dieser Position. Die Forscher fanden außerdem Hinweise darauf, dass BAY1436032 die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Nach diesen vielversprechenden präklinischen Ergebnissen wird derzeit in der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg eine erste klinische Studie durchgeführt. Eingeschlossen sind Patienten mit Gliomen und anderen soliden Tumore mit nachgewiesener IDH1-Mutation. Das Ziel ist es, die Verträglichkeit von BAY1436032 und die geeignete Dosis zu ermitteln. „Hier besteht großer Bedarf an innovativen Therapien“, erklärt Andreas von Deimling, „denn behandlungsresistente Astrozytome entarten oft zu besonders aggressiven Tumoren, gegen die wir mit den heute verfügbaren Medikamenten nichts ausrichten können.“

Unter der Leitung von Alwin Krämer startet darüber hinaus in Kürze eine internationale klinische Studie, mit der die Verträglichkeit und die geeignete Dosis von BAY1436032 bei der AML mit IDH1-Mutation geprüft werden soll.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...