Das erfundene Tier: 25 Jahre Krebsmaus
Patentanmeldungen auf Tiere sind bis heute umstritten
(dpa) Die europäischen Patentprüfer prüften sehr genau: Sieben Jahre lang ging es hin und her, ehe sie vor 25 Jahren - am 13. Mai 1992 - das Patent auf die Krebsmaus erteilten. Forscher der Harvard-Universität hatten der Maus dazu menschliche Brustkrebsgene übertragen. Der Nutzen für die Forschung blieb gering. Die Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) ebnete aber den Weg für Hunderte Patentanmeldungen auf Tiere.
Rund 500 solcher Patente hat das EPA nach eigenen Angaben bisher erteilt, die meisten auf Versuchstiere. «Keine Technologie ist von vornherein vom Patentschutz ausgenommen», sagt EPA-Pressesprecher Rainer Osterwalder. Patentgegner sprechen von mehr als tausend erteilten Patenten auf ganze Tiere, Zellen oder Gene.
An ihnen werden Medikamente gegen Krebs, Epilepsie oder Immunerkrankungen getestet. Schimpansen etwa wurden laut Patentschrift (EP1456346 und EP1572862) DNA-Stücke von Insekten ins Erbgut geschleust. Sie sollen zum Test von Medikamenten eingesetzt werden. Bei anderen Patenten geht es auch um Mäuse, Ratten, Katzen, Hunde, Rinder, Schweine, Pferde und Schafe.
Das Patent auf die Krebsmaus sei ein Türöffner für all diese Patente gewesen und habe die Zahl der Tierversuche massiv nach oben getrieben, sagt Christoph Then vom Institut Testbiotech, das sich mit der Folgenabschätzung von Biotechnologie befasst. «Das ist ein kommerzieller Anreiz, immer noch mehr Tierversuche zu machen.»
Von 2004 bis 2013 habe sich die Zahl der für Experimente verwendeten Gentechnik-Tiere auf knapp eine Million jährlich in Deutschland erhöht und damit fast verdreifacht. Das zeige «die Auswüchse einer internationalen Tierversuchsindustrie, die ganz erheblich von wirtschaftlichen Interessen getrieben ist», heißt es bei Testbiotech.
Erforschung und Bekämpfung von Krebs zum Wohl der Menschheit seien von übergeordneter Bedeutung, argumentierten die europäischen Patentprüfer des EPA, als sie vor 25 Jahren am 13. Mai 1992 das zunächst abgelehnte Patent auf die Maus (EP 0169672) doch erteilte. Lange zuvor, am 12. April 1988, hatten ihre Kollegen in den USA den Schutz für die Harvard-Krebsmaus erteilt. Medizinisch brachte sie keinen Durchbruch. Die Maus hatte nur ein einziges Krebs-Gen. Es gibt aber 20 bis 40, vielleicht 100 verschiedene Brustkrebsarten bei Frauen.
Vermutlich auch wegen der Lizenzgebühren machten Forscher wenig Gebrauch von der sogenannten Onkomaus. Patente auf Versuchstiere könnten die Entwicklung sogar behindern, denn sie blockierten die Freiheit der Forschung, argumentieren Gegner.
Jenseits von Medikamentenversuchen haben Patente auf genveränderte Tiere kaum Bedeutung. Nur vereinzelte Anmeldungen gebe es bei der Erzeugung von Arzneimitteln, bei denen mit Hilfe von genveränderten Tieren Wirkstoffe gewonnen werden.
Auch bei Nutztieren ist das Interesse gering. Schließlich will kaum jemand gentechnisch veränderte Lebensmittel. Einzelbeispiele von Anmeldungen waren ein schnell wachsender «Turbo»-Lachs, eine Kuh mit besserer Milch und ein stressresistentes Schwein, das beim Gang zum Schlachthof keine Panik bekommen sollte - auf dass die Fleischqualität nicht leide.
Patente auf Tiere und Pflanzen sind umstritten. Umwelt- und Tierschützer, christliche Gruppen, Entwicklungshilfeorganisationen, Züchter und Bauern warnen vor einem Monopol der Patentinhaber und steigender Marktmacht der Konzerne. Bauern gerieten in Abhängigkeit, kleine Züchter würden vom Markt gedrängt, Patentgebühren könnten Lebensmittelpreise auch in der Dritten Welt hochtreiben.
Bei Patenten auf konventionell gezüchtete Tiere und Pflanzen könnte es im Juni eine neue Richtung geben. In Grundsatzentscheidungen zu einer Schrumpel-Tomate für die Ketchup-Produktion oder einem extra-gesunden Brokkoli hatte das EPA bisher die Züchtungsverfahren selbst als nicht patentierbar gewertet, die Produkte aber dennoch unter Schutz gestellt. Jetzt liegen alle vergleichbaren Verfahren auf Eis. In der Politik mehren sich die Stimmen, Züchtung von der Patentierbarkeit auszuschließen. Im Juni soll der Verwaltungsrat als Vertretung aller Mitgliedsstaaten darüber entscheiden.
Inzwischen arbeitet die Industrie mit neuen Verfahren, etwa der sogenannten Cripsr-Technik. Die Verwendung von Enzymen, die wie eine DNA-Schere wirken, ermöglichen eine gezieltere Veränderung des Erbguts direkt in den Zellen. Die Rede ist von Gen-Editing oder Synthetischer Gentechnik. Das EPA hat Dutzende Patentanmeldungen aus diesem Bereich erhalten.
Gegner warnen: Die Verfahren seien nicht frei von Nebenwirkungen und trieben die Versuchstierzahlen nur weiter in die Höhe. «Verschiedene Firmen bieten an, Versuchstiere wie Mäuse und Ratten je nach Bestellung an jeder beliebigen Stelle im Erbgut mit synthetischer DNA zu manipulieren und diese Tiere innerhalb weniger Monate zu liefern», sagt Then.
Der Kampf um Patente auf Leben geht weiter - wie zäh er sein kann, zeigte das Krebsmaus-Patent. Es gab dagegen 17 Einsprüche von Gruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz; die Verfahren zogen sich über ein Jahrzehnt hin. Als das EPA im Juli 2004 das Patent endgültig bestätigte, war der Patentschutz schon erloschen. Er besteht nach der Erstanmeldung 20 Jahre - und diese stammte vom 22. Juni 1984.