Kampf oder Koexistenz

05.05.2017 - Deutschland

Wie Bakterienkolonien wachsen und sich in ihrer Umwelt durchsetzen, gehorcht komplizierten Dynamiken. LMU-Forscher untersuchen, wo dabei die Gesetze von Populationsdynamiken und Wahrscheinlichkeitsrechnung eine Rolle spielen.

Wie reagieren Bakterien auf Ihre Umwelt? Was tun sie, wenn sie in Stress geraten oder andere Mikroben ihnen Konkurrenz machen? Und wer verdrängt in gemischten Kulturen am Ende wen? Keine ganz simplen Fragen, Bakterien-Gemeinschaften sind komplexe und dynamische Ökosysteme. Die Wechselfälle des Wachstums in den Bakterienkulturen lassen sich mit den Gesetzen von Populationsdynamik und Wahrscheinlichkeitsrechnung beschreiben. Aber eben nicht vollständig. Nun ist es einem Team von Biophysikern der LMU um Dr. Madeleine Opitz gelungen, mit einer Mischung von Experiment und Theorie erstmals die Entwicklung der Bakterien-Population und den Wettbewerb mathematisch nachzuvollziehen, von nur ein paar Hundert Zellen bis hin zu makroskopisch sichtbaren Kolonien von Billion Bakterien-Stäbchen.

Ganz offensichtlich, so fanden die Wissenschaftler heraus, fällt die Entscheidung, wer sich in diesem bakteriellen Ökosystem durchsetzt, schon sehr früh, schon dann, wenn die Zahl der Zellen noch gering ist. In dem Versuchsaufbau verfolgten die LMU-Forscher den Wettbewerb zwischen einem Stamm von Escherichia coli-Bakterien, die ein Gift namens ColicinE2 absondern können, und einem anderen Stamm von Darmbakterien, die das Toxin abtötet.

Klarer Fall, sollte man meinen, wer am Ende übrigbleibt. Doch erstens waren die giftempfindlichen Mikroben zu Beginn hundertfach in der Überzahl. Und zweitens setzt nicht jedes Exemplar vom Stamm der Toxinbildner ColicinE2 frei. In der wachsenden Kolonie der Toxinbildner stellt sich eine klare Arbeitsteilung ein: Ein Teil der Zellen bildet das Gift. Ein anderer übernimmt die Reproduktion: Die Zellen teilen sich weiter und sorgen so für das Wachstum der Kultur. Wie viele der Bakterien das eine oder das andere tun, hängt unter anderem von der Umwelt ab. Je mehr Stress, den die LMU-Wissenschaftler im Experiment mit der Zugabe eines Antibiotikums erzeugten, desto mehr Bakterien wechselten in das Lager der Toxinbildner. Der Druck der Umwelt, so Opitz, schaltet eine Art SOS-Funktion in den Bakterien an, die sie in den Kampfmodus bringt.

Ohne die Stress-Induktion durch das Antibiotikum verdrängte meist der sensitive Stamm, der von vornherein ja in der Überzahl war, die Konkurrenz. Allenfalls kam es zu einer Koexistenz. Und nur bei mildem Antibiotika-Stress lief die Arbeitsteilung im Toxinbildner-Stamm offenbar rund, so dass er in der großen Mehrzahl der Fälle gewann.

Obwohl der Grad der Arbeitsteilung die möglichen Ergebnisse festlegt, bestimmen die individuellen „Entscheidungen“ zwischen Giftproduktion und Reproduktion in den ersten Stunden das endgültige Ergebnis. Bei der „Entscheidung“, ob ein einzelnes Bakterium das Gift produziert, handelt es sich um ein Zufallsereignis. Im Mittel lassen sich diese Zufallsereignisse wie beim Würfeln gut vorhersagen. Aber ein einzelnes Übertreten zur Giftproduktion lässt sich wie ein einzelnes Würfelereignis nicht so einfach vorhersagen. Diese Schwankungen machen, wenn man so will, das statistische Grundrauschen aus, das es so schwierig werden lässt, mit mathematischen Methoden zu klaren Voraussagen zu kommen. Und wichtig dafür, wie das jeweilige Experiment anläuft, war auch, so berichtet Opitz, wieviele Exemplare (1 oder 4) des Toxinbildner-Stammes beim anfänglichen Ausimpfen – wiederum zufällig – einen Platz in der Kolonie bekommen hatten.

„Es ist schon faszinierend“, sagt Benedikt von Bronk, Erstautor der Arbeit, „wie zufällige Ereignisse unter den wenigen Bakterien zu Beginn den Zustand des Systems zu einem weit späteren Zeitpunkt und einer weitaus größeren Zahl von Mikroorganismen entscheidend beeinflussen.“

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