Bakterien gesucht, Riesenviren gefunden

10.04.2017 - Österreich

Viren sind für gewöhnlich klein – so klein, dass sie weder mit bloßem Auge noch mit Hilfe eines Lichtmikroskops erkennbar sind. Mikrobiologen um Michael Wagner, Holger Daims und Matthias Horn von der Universität Wien und des U.S.-amerikanischen Joint Genome Institute haben nun gleich vier verschiedene so genannte Riesenviren in einer Probe u.a. aus der Kläranlage Klosterneuburg entdeckt. Die "Klosneuviren" sind hundertfach größer als das Grippevirus, für den Menschen harmlos und beenden möglicherweise eine jahrelange Kontroverse über eine vierte Domäne des Lebens.

Copyright: Universität Wien

Kläranlage Klosterneuburg. In diesem unscheinbaren Becken zur Abwasserreinigung verbergen sich riesige Viren mit ungewöhnlichen, völlig unerwarteten Eigenschaften.

Eigentlich war das Forschungsziel ein anderes. Ein Team des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung um Holger Daims und Michael Wagner untersuchte Bakterien, die im natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde eine wichtige Rolle spielen. Bei der Untersuchung von Proben aus der Kläranlage Klosterneuburg stießen sie auf das Erbgut ungewöhnlicher Riesenviren. "Uns war sofort klar, dass wir da etwas ganz Neuem auf der Spur sind", so Frederik Schulz, Erstautor der Studie und damals noch Doktorand an der Universität Wien.

Große DNA-Viren mit ungewöhnlichen Eigenschaften

"Riesenviren kennt man tatsächlich erst seit etwa zehn Jahren. Ursprünglich in einfachen Amöben in Südfrankreich entdeckt, geht die Wissenschaft mittlerweile davon aus, dass sie weit verbreitet sind", erklärt Matthias Horn, Doktorvater von Frederik Schulz. Riesenviren sind nicht nur ähnlich groß wie Bakterien, ihr Genom besteht ebenfalls aus DNA und ist vergleichbar umfangreich. Damit besitzen große DNA-Viren bis zu 200 Mal mehr Gene als beispielsweise das Grippevirus. Sie sind zwar für die Vermehrung – wie alle bekannten Viren – auf die Zellen anderer Organismen angewiesen, aber sie haben Eigenschaften, die man bislang nur von echten Lebewesen kannte. So bringen sie beispielsweise eine Vielzahl an Bausteinen für die Herstellung von Eiweißen, die Proteinbiosynthese, mit.

Rekordhalter Klosneuvirus

Die jetzt entdeckten Klosneuviren haben ein für Viren gigantisch umfangreiches Erbgut. Und sie halten einen Rekord, denn in keinem anderen Virus wurden ähnlich viele Gene für die Proteinbiosynthese entdeckt. Ebenfalls typisch für Riesenviren: Ein Großteil des Genoms der Klosneuviren zeigt keinerlei Ähnlichkeit zu dem anderer Viren oder Lebewesen. Das wirft aber eine weitere Frage auf: Handelt es sich bei den Riesenviren also um Relikte einer eigenen Lebensform, die ursprünglich unabhängig von Mikroorganismen (Bakterien und Archaeen) und den Eukaryonten (wie Pflanzen und Tieren) entstanden ist?

Keine eigene Lebensform

Die Entdeckung und Untersuchung der Klosneuviren bringt nun endlich Licht ins Dunkel und könnte die jahrelange Debatte über den Ursprung der Riesenviren beenden. Die Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Klosneuviren zeigt, dass das Genom der Riesenviren ursprünglich eher klein war – so wie das anderer Viren. Erst im Verlauf der Evolution sind durch den Einbau zusätzlicher Gene die riesigen Genome heutiger Vertreter entstanden. Dazu zählen auch die Gene für die Proteinbiosynthese. Diese entstammen nicht etwa einer bisher unbekannten Lebensform, sondern sind den Genen heutiger Lebewesen erstaunlich ähnlich. "Riesenviren sind also keine Relikte einer vierten Domäne des Lebens, sondern eine höchst ungewöhnliche Gruppe an Viren, die sich auf das Sammeln von Genen anderer Organismen spezialisiert haben", resümiert Tanja Woyke, Leiterin der Studie am Joint Genome Institute.

Den Klosneuviren auf der Spur

Um die Klosneuviren und ihre ungewöhnliche Sammelleidenschaft besser verstehen zu können, müssten sie eingehender im Labor studiert werden. Bislang konnten die Virusteilchen aber nicht isoliert werden. "Derzeit versuchen wir, die Viren aus neuen Proben aus Klosterneuburg zu gewinnen, indem wir ihnen einzellige Amöben für die eigene Vermehrung anbieten", erklären Horn und Wagner: “Die Entdeckung der Klosneuviren ist ein Paradebeispiel dafür, wie wissenschaftliche Neugier zu völlig unerwarteten Entdeckungen führt, die – in diesem Fall – grundsätzliche Fragen des Lebens betreffen".

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