Wie das Gehirn auf Schlafentzug reagiert

Für Therapie von Depressionen relevant

04.04.2017 - Deutschland

In einer neuen Studie haben Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich gemeinsam mit Partnern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersucht, mit welchen molekularen Veränderungen das menschliche Gehirn auf ungewöhnlich lange Wachphasen reagiert. 52 Stunden am Stück blieben die Probanden wach, um sich im Jülicher PET-Zentrum vermessen zu lassen. Anschließend ging es zum DLR nach Köln, wo sie 14 Stunden lang unter Überwachung ausschlafen konnten.

Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

EEG-Messung

Zu wenig Schlaf kann die Leistung und Gesundheit massiv beeinträchtigen. Zudem ruft Schlafmangel Veränderungen im Gehirn hervor, welche die Forscher in dem Versuch messen konnten. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich durch den Schlafentzug die Zahl der verfügbaren A1-Adenosinrezeptoren erhöht. Durch einen anschließenden Erholungsschlaf normalisierten sie sich wieder auf das Ausgangsniveau", berichtet Studienleiter PD Dr. David Elmenhorst vom Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-2).

Die A1-Adenosinrezeptoren werden als eine Art Empfänger in die Zellwand eingebaut. Ihre Funktion: das Signal des andockenden Botenstoffs Adenosin ins Zellinnere weitergeben, das die Aktivität der Zelle herunterregelt. Forscher vermuten mittlerweile, dass nicht nur das Adenosin selbst, sondern auch die A1-Rezeptoren für den Schlafdrang verantwortlich sind, der mit zunehmender Wachdauer immer stärker wird. Denn Adenosin ist ein elementares Produkt des Energiestoffwechsels. Die Konzentration schwankt praktisch im Sekundentakt. Die Anzahl der freien Rezeptoren ändert sich dagegen viel langsamer und erscheint damit besser für eine Art "Schlafgedächtnis" geeignet zu sein.

Resistent gegen Schlafentzug

Auch die Wirkung von Koffein hängt mit diesem Rezeptortyp zusammen. Der Wirkstoff lagert sich an komplexe Eiweißmoleküle an und blockiert sie. In der Versuchsreihe mussten die Probanden auf Kaffee und andere Wachmacher verzichten. Während der 52-stündigen Wachzeit unterzogen sie sich mehreren Leistungstests: Knöpfchen drücken zur Messung der Reaktionszeit und Begriffe memorieren zur Bestimmung der Gedächtnisleistung. Auffällig waren die individuellen Leistungsunterschiede: Manche Teilnehmer zeigten unter Schlafentzug extreme, teilweise sekundenlange Aussetzer. Bei anderen ließ sich dagegen kaum ein Leistungsabfall feststellen. Eine solche Veranlagung könnte für Berufe, in denen Menschen regelmäßig unter Schlafmangel fehlerfreie Leistungen abliefern müssen, vorteilhaft sein.

"Erstaunlicherweise konnten wir gerade bei dieser scheinbar resistenten Gruppe von Probanden keinen konstanten Wert, sondern eine besonders starke Erhöhung der A1-Rezeptor-Verfügbarkeit feststellen", berichtet David Elmenhorst. Der erhöhte Wert ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer außergewöhnlich hohen Konzentration von Rezeptormolekülen. Denn die Messung mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) erfasst nur den Nettowert: Tracer-Moleküle im Blutkreislauf der Probanden docken an freie Rezeptor-Moleküle an und werden bei ihrem Zerfall im PET-Scanner sichtbar. Auf diese Weise werden nur die Rezeptoren erfasst, die nicht blockiert und zum Messzeitpunkt verfügbar sind. "Unsere These ist daher, dass die Probanden, bei denen wir eine besonders hohe A1-Rezeptor-Verfügbarkeit gemessen haben, relativ wenig Adenosin produzieren und so auch weniger die Aktivität der Zellen hemmen", so Elmenhorst. Folglich stehen insgesamt mehr freie Rezeptoren zum Zeitpunkt der PET-Untersuchung zur Verfügung.

Für Therapie von Depressionen relevant

Die Ergebnisse sind auch für die klinische Medizin von Bedeutung: Schlafentzug ist nämlich ein schnell, aber nur kurzzeitig wirksames Mittel gegen Depressionen. "Es gibt viele Bestrebungen, die therapeutische Wirkung des Schlafentzugs bei der Behandlung von Depression zu verlängern. Das Problem ist bis jetzt aber: einmaliges Schlafen reicht häufig schon aus, um in den depressiven Zustand zurückzufallen", erklärt David Elmenhorst. Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen Stimmungslage und Adenosinregulation könnte daher dazu beitragen, das Design von Wachtherapien zu optimieren.

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