Der Physiker an der Gen-Schere

ERC-Grant-Gewinner Ralf Seidel im Porträt

31.03.2017 - Deutschland

Er forscht an einer der aktuell vielversprechendsten Methoden in der Medizin: Ralf Seidel, Professor für Molekulare Biophysik an der Universität Leipzig, untersucht das sogenannte CRISPR/Cas9-System, eine Art Skalpell für das Erbgut. Sein Ziel ist es, diese Methode so weiterzuentwickeln, dass sie noch präziser die DNA schneiden kann - und damit in Zukunft eingesetzt werden kann, um schwere Krankheiten wie Krebs ohne Nebenwirkungen zu behandeln. Dabei wird ihm auch der kürzlich von ihm erfolgreich eingeworbene ERC-Grant helfen, die höchstdotierte Förderung von Grundlagenforschung der Europäischen Union.

Swen Reichhold/Universität Leipzig

Prof. Dr. Ralf Seidel

"Kleine, molekulare Maschinen faszinieren mich generell schon sehr lange", beginnt Professor Ralf Seidel vom Institut für Experimentelle Physik an der Universität Leipzig, von seinem Forschungsfeld zu erzählen. "Mit dem vor wenigen Jahren entdeckten CRISPR/Cas9-System können wir DNA auf recht einfache Weise gezielt verändern, um damit Gene zu entfernen, einzufügen oder auszuschalten." Damit bieten sich auf einmal ganz neue Möglichkeiten, um in Zukunft auch Erbkrankheiten heilen zu können.

Doch bisher haben diese Werkzeuge, die als kleine Skalpelle wirken, ein Problem: Sie schneiden das Erbgut noch nicht so exakt, wie sie es tatsächlich sollen. Statt nur an den anvisierten Stellen in der DNA anzusetzen, arbeiten sie bisher häufig auch an ungewollten. Dadurch kann es etwa vorkommen, dass falsche Gene ausgeschaltet oder ersetzt werden, sodass es zu fatalen Änderungen im Erbgut kommen kann. Seidel und sein Team wollen daher erforschen, unter welchen Umständen diese Werkzeuge auch an unvorhergesehenen Punkten ansetzen. "Wenn wir das verstanden haben, können wir die CRISPR-Systeme so verbessern, dass solche ungewollten Nebenwirkungen nicht mehr auftreten", erklärt der Physiker.

Um das herauszufinden, nutzen die Leipziger Wissenschaftler Methoden, mit denen sich ein einzelnes DNA-Molekül bearbeiten lässt, in dem es in einem Magnetfeld eingespannt und langgezogen wird. Mit hochauflösender Mikroskopie können sie dann messen, wo und wie ein CRISPR-System, biochemisch gesehen ein Enzym, genau an einer bestimmten DNA-Stelle ansetzt - und warum es auch an ungewollten Sequenzen mit eigentlich unpassender Buchstabenfolge andockt. Aus den gewonnenen Daten entwickeln die Forscher anschließend ein physikalisches Modell, das Auskunft darüber gibt, wie schnell dieses Enzym an bestimmten Stellen an der DNA bindet. "Im günstigsten Fall können wir das System dann so verbessern, dass es nur die gewollte Sequenz erkennt, die anderen hingegen gar nicht oder so langsam, dass dies in der Zelle keine Rolle mehr spielt", so der 43-Jährige.

"An der Universität Leipzig hat sich in den letzten Jahren ein toller Schwerpunkt im Bereich der Biophysik und Nanosysteme entwickelt, der für unsere Experimente an einzelnen Molekülen das richtige Umfeld bietet." Das war auch der Hauptgrund, warum es den gebürtigen Pirnaer vor knapp zwei Jahren von der Universität Münster an die Alma Mater Lipsiensis zog. Hier übernahm er eine Professur für Experimentalphysik und begann sich noch intensiver der Forschung an winzigen, aus Biomolekülen aufgebauten Maschinen zu widmen. Seine Vision ist es seitdem, in den kommenden Jahren sowohl die DNA selbst als auch die Methoden besser verstehen, mit der sie verändert werden kann.

Auf dem Weg dahin wird ihn auch die aktuell anlaufende sogenannte Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats, kurz ERC (European Research Council), unterstützen. Dieser Rat existiert seit 2007 und ist die erste europaweit agierende Förderorganisation für Grundlagenforschung. Seine aktuellen Förderprogramme unterstützen EU-weit 480 junge Spitzenforscher über einen Zeitraum von fünf Jahren mit jeweils bis zu zwei Millionen Euro.

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