Zuschauerzellen bringen Killerzellen beim Kampf gegen Krebszellen in Schwung
Oliver Dietze
Das Immunsystem des menschlichen Körpers bekämpft abnormale Zellen wie Tumorzellen oder virusinfizierte Zellen unter anderem mithilfe von sogenannten natürlichen Killerzellen. Diese wandern durch das Körpergewebe und suchen zum Beispiel nach Krebszellen, die sie bei Kontakt abtöten, indem sie Stoffe absondern, die die kranken Zellen vernichten. Auf ihrer Suche treffen die Killerzellen nicht nur auf Krebszellen, sondern auch auf völlig unbeteiligte Zellen, die es zuhauf im organischen Gewebe gibt. Da diese bei Kontakt erst als unbeteiligt, also als Nicht-Krebszelle, identifiziert werden und dann zur weiteren Suche umgangen werden müssen, gingen Forscher bisher davon aus, dass diese unbeteiligten Zellen die Suche erschweren und das Abtöten der Krebszellen verlangsamen.
Überraschenderweise ist aber das Gegenteil der Fall: Forscher des Sonderforschungsbereiches SFB 1027 der Universität des Saarlandes konnten nun nachweisen, dass die Effizienz der Killer durch die Anwesenheit unbeteiligter Zellen gesteigert wird: je mehr unbeteiligte Zellen vorhanden sind, desto schneller werden alle Krebszellen abgetötet.
Die Experimente, die unter der Leitung von Dr. Bin Qu im Institut für Biophysik der Saar-Uni durchgeführt wurden, zeigten zudem, dass die Killerzellen sich offenbar schneller auf die Krebszellen zubewegen, je mehr unbeteiligte Zellen im Gewebe vorhanden sind. Obgleich die unbeteiligten Zellen nach wie vor Hindernisse darstellen, sagten Modellrechnungen des theoretischen Physikers Professor Heiko Rieger voraus, dass die Suche nach Krebszellen bei einer hinreichend großen Beschleunigung der Killer-Migration tatsächlich effizienter wird, wenn mehr unbeteiligte Zellen in der Nähe sind.
Die entscheidende Frage, die sich die Forscher stellten, war dann natürlich, auf welche Weise die unbeteiligten Zellen die Killerzellen beschleunigen. Auch diese Frage konnten sie beantworten. Entscheidend für die Beschleunigung der Killerzellen sind so genannte Sauerstoffradikale wie H2O2. Und in der Tat fanden Dr. Qu und ihre Mitarbeiter, dass die H2O2-Konzentration in den Laborversuchen höher ist, je mehr unbeteiligte Zellen vorhanden sind. Die unbeteiligten Zellen produzieren offenbar H2O2, geben es in die Umgebung ab und beschleunigen so Killerzellen, die in ihre Nähe kommen.
Die Entdeckung dieses Wirkmechanismus könnte neue Möglichkeiten im Kampf gegen Tumoren eröffnen, indem zum Beispiel weiter erforscht wird, wie sich eine gezielte Änderung der H2O2-Konzentration auf das Tumorwachstum auswirkt. Natürlich ist es noch ein weiter Weg bis zu einer klinischen Anwendung, aber generell erscheint der Ansatz, durch gezielte Beeinflussung der unmittelbaren Tumor-Umgebung die natürliche Immun-Reaktion zu verbessern, sehr vielversprechend und komplementär zu bisherigen Immuntherapie-Strategien, die die Anzahl von Killerzellen oder deren Aktivierungsgrad zu verändern suchen.