Zellen passen sich ultraschnell an die Schwerelosigkeit an

01.03.2017 - Schweiz

Innerhalb einer Minute passen sich Säugetierzellen vollständig an die Schwerelosigkeit an. Echtzeitmessungen auf der Internationalen Raumstation ISS belegen, dass Zellen ultraschnell veränderte Schwerkraftverhältnisse ausgleichen. Dieser erstmalige Nachweis gelingt einem internationalen Team unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universität Zürich.

NASA

ESA-Astronautin Samantha Christoforetti bereitet den Rotor des BIOLAB für das TRIPLE LUX Experiment vor.

Die Zellen von Säugetieren sind optimal an die Schwerkraft angepasst. Doch wie reagieren sie, wenn die irdische Anziehungskraft wegfällt? Bis anhin haben viele Experimente Zellveränderungen – nach Stunden oder Tagen in der Schwerelosigkeit – nachgewiesen. Dennoch sind Astronauten nach langem Aufenthalt im Weltall ohne gesundheitliche Probleme auf die Erde zurückgekehrt. Es stellt sich deshalb die Frage, inwiefern Zellen fähig sind, sich Änderungen der Schwerkraft anzupassen. Nun zeigen UZH-Wissenschaftler erstmals anhand von Echtzeitmessungen auf der ISS, dass Zellen äusserst schnell auf veränderte Schwerkraftverhältnisse reagieren und ihre Funktion aufrechterhalten können. Sie erbringen damit auch den direkten Nachweis, dass bestimmte Zellfunktionen an die Schwerkraft gekoppelt sind.

Versuchsablauf und Messung auf der ISS

Im Gegensatz zu Weltraumexperimenten, deren Analysen im Anschluss auf der Erde durchgeführt worden sind, ging das Team um die UZH-Wissenschaftler Oliver Ullrich und Cora Thiel einen anderen Weg. Sie richteten ihr Versuchsdesign auf die Durchführung und direkte Messung im Weltall aus: Vom Auftauen der Versuchszellen bis zu den Messungen führte ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti alle Abläufe direkt im Labor auf der ISS durch. Die auf der ISS gemessenen Daten wurden dann zur Erde übertragen. Rigorose interne und externe Kontrollen schlossen alle ausser die Schwerkraft betreffenden Einflüsse aus.

Zelladaptation innerhalb von 42 Sekunden

Das Forscherteam untersuchte anhand des sogenannten oxidativen Burst – einem evolutionär alten Mechanismus zur Abtötung von Bakterien durch Abwehrzellen – wie Rattenzellen auf Änderungen der Gravitation reagierten. Unter Zuhilfenahme von Zentrifugen veränderte Samantha Cristoforetti auf der ISS die Schwerkraftverhältnisse und das Team im Kontrollzentrum konnte dadurch in Echtzeit verfolgen, wie die Zellen darauf reagierten. «Nämlich ultraschnell», so Oliver Ullrich, Professor am Anatomischen Institut der Universität Zürich. «Die Immunabwehr brach sofort nach Eintritt der Schwerelosigkeit ein, die Abwehrzellen erholten sich aber überraschenderweise innerhalb von 42 Sekunden wieder vollständig.» Aus dem direkten Nachweis einer innerhalb einer Minute abgeschlossenen, schnellen und vollständigen Anpassung an die Schwerelosigkeit stellt sich für Oliver Ullrich und Cora Thiel die Frage, ob nicht bisherige nach Stunden oder Tagen gemessene Zellveränderungen ebenfalls die Folgen eines Anpassungsprozesses sind.

Positive Nachricht für Astronauten

«Es scheint paradox: Zellen sind fähig, sich ultraschnell an die Schwerelosigkeit anzupassen. Aber sie waren ihr in der Entwicklungsgeschichte des irdischen Lebens nie ausgesetzt», sagt Cora Thiel. «Die Ergebnisse stellen daher weitere Fragen hinsichtlich der Robustheit des Lebens und seiner erstaunlichen Anpassungsfähigkeit.» In jedem Falle aber ist laut Oliver Ullrich das Ergebnis des ISS-Experiments eine gute Nachricht für die bemannte Raumfahrt: «Es besteht die Hoffnung, dass unsere Zellen mit der Schwerelosigkeit viel besser zurechtkommen, als bisher angenommen.»

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