Mit Künstlicher Intelligenz das Gehirn verstehen
Neurobiologen programmieren neuronales Netz zur Schaltkreisanalyse des Gehirns
© Julia Kuhl
Nervenzellen brauchen Gesellschaft. Während eine einzelne Zelle wenig bewirken kann, werden Nervenzellen im Verbund zu einem mächtigen Netzwerk, das zum Beispiel unser Verhalten steuert. Dabei tauschen die Zellen Informationen über ihre Kontaktstellen, die Synapsen, aus. Das Wissen darüber, welche Nervenzellen wann und wo miteinander verbunden sind, trägt entscheidend dazu bei, grundlegende Hirnfunktionen ebenso wie übergeordnete Prozesse wie Lernen, Gedächtnis, Bewusstsein und Erkrankungen des Nervensystems zu verstehen. Denn Forscher vermuten, dass der Schlüssel zu alldem in der Verschaltung der rund 100 Milliarden Zellen im menschlichen Gehirn liegt.
Um diesen Schlüssel verwenden zu können, müsste jedoch das Konnektom erfasst werden – jede Nervenzelle eines Gehirns mit ihren tausenden Kontakten und Partnerzellen. Noch vor wenigen Jahren schien so etwas gänzlich unmöglich. Von „unmöglich“ lassen sich die Wissenschaftler in der Abteilung “Elektronen – Photonen – Neuronen“ am Max-Planck-Institut für Neurobiologie allerdings kaum abschrecken. So entwickelten und verbesserten sie in den vergangenen Jahren Färbe- und Mikroskopiemethoden, mit denen Hirngewebeproben in einem automatisierten Prozess in dreidimensionale, hochaufgelöste Elektronenmikroskopbilder verwandelt werden. Ihr neuestes Mikroskop, dass als Prototyp in der Abteilung im Einsatz ist, tastet die Oberfläche einer Probe gleich mit 91 Elektronenstrahlen parallel ab, bevor die nächste Probenebene freigelegt wird. Im Vergleich zum Vorgängermodell erhöht sich die Datenerfassungsrate so um mehr als das Fünfzigfache. Ein ganzes Mäusegehirn könnte anstatt in vielen Dekaden, innerhalb weniger Jahre erfasst werden.
Während es somit nun möglich ist, ein Hirngewebestück in wenigen Wochen in Billionen Pixel zu zerlegen, dauert die Analyse dieser elektronenmikroskopischen Bilder viele Jahre. Das liegt daran, dass herkömmliche Computeralgorithmen oft zu ungenau sind, um die hauchdünnen Fortsätze der Nervenzellen über lange Strecken zuverlässig zu verfolgen und die Synapsen zu erkennen. Daher müssen immer noch Menschen in stundenlanger Bildschirmarbeit die Synapsen in den Bilderstapeln aus dem Elektronenmikroskop identifizieren.
Training für neuronale Netze
Doch auch diese Hürde nehmen nun die Wissenschaftler um Jörgen Kornfeld mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze. Diese Algorithmen können aus Beispielen und Erfahrungen lernen und dieses Wissen auch verallgemeinern. Bereits heute werden sie sehr erfolgreich in der Bildverarbeitung und Mustererkennung eingesetzt. „Da war der Weg nicht weit zum Einsatz eines künstlichen Netzes für die Analyse eines echten neuronalen Netzes“, so Jörgen Kornfeld, der Leiter der Studie. Ganz so einfach wie es klingt, war es dann doch nicht. In monatelanger Arbeit trainierten und testeten die Wissenschaftler sogenannte "Convolutional Neural Networks" darauf, Zellfortsätze, Zellbestandteile und Synapsen in den Bilddaten zu erkennen und voneinander zu unterscheiden.
Das so entstandene SyConn Netzwerk kann nun, nach einer kurzen Anlernphase, diese Strukturen selbstständig und äußerst zuverlässig identifizieren. Die Anwendung auf Datensätze aus dem Singvogelgehirn zeigte, dass SyConn so zuverlässig ist, dass ein menschliches Fehlerlesen überflüssig wird. „Das ist absolut fantastisch, denn mit einer so geringen Fehlerrate hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet“, freut sich Kornfeld über den Erfolg von SyConn, einem Teil seiner Doktorarbeit. Eine berechtigte Freude, denn die neu entwickelten künstlichen neuronalen Netze können Neurobiologen in Zukunft viele tausend Stunden monotoner Arbeit abnehmen – und so die Zeit bis zur Entschlüsselung des Konnektoms, und vielleicht auch des Bewusstseins, um viele Jahre verkürzen.
Originalveröffentlichung
Sven Dorkenwald, Philipp Schubert, Marius F. Killinger, Gregor Urban, Shawn Mikula, Fabian Svara, Jörgen Kornfeld; "Automated synaptic connectivity inference for volume electron microscopy"; Nature Methods; 2017