Neue Risikofaktoren für Angsterkrankungen
Dr. Tina Lonsdorf, Systemische Neurowissenschaften UKE Hamburg
Bei Angsterkrankungen spielen psychische, soziale und erbliche Faktoren eine Rolle. Einen bislang unbekannten genetischen Weg, auf dem sich solche Erkrankungen entwickeln können, beschreibt ein Würzburger Forschungsteam im Fachblatt „Molecular Psychiatry“: Mindestens vier Varianten des Gens GLRB (Glycin-Rezeptor B) sind demnach Risikofaktoren für Angst- und Panikstörungen.
Das zeigte sich bei einer Studie, an der über 5000 freiwillige Probanden und mehr als 500 Patienten mit einer Panikstörung teilnahmen.
Wie sich Angsterkrankungen zeigen können
An Angst- und Panikstörungen leiden in Deutschland etwa 15 Prozent aller Erwachsenen. Manche verspüren extreme Angst vor Spinnen oder anderen Objekten, andere bekommen in engen Räumen oder in Menschenansammlungen Atemnot und Herzrasen. Einige erleiden die Angstzustände aber auch ohne konkreten Anlass. Für viele Betroffene ist der normale Alltag stark beeinträchtigt – sie haben oft Probleme im Beruf und ziehen sich aus sozialen Kontakten zurück.
Wie entstehen Furcht und Angst? Wie kommt es zu Angsterkrankungen, wie verlaufen sie?
Das erforschen Wissenschaftler aus Münster, Hamburg und Würzburg seit 2008 im Sonderforschungsbereich (SFB) TR 58, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert. Ziel ihrer Arbeiten ist es, neue und noch besser auf einzelne Patienten angepasste Therapien zu entwickeln. Behandeln lassen sich Angsterkrankungen zum Beispiel mit Medikamenten und Verhaltenstherapien.
Das Gen löst Hyperekplexie aus
Zu verbesserten Therapien könnte auch die Entdeckung beitragen, dass verschiedene Varianten des Gens GLRB mit Angsterkrankungen zu tun haben. Den Forschern war das Gen schon vorher bekannt, aber nur in Verbindung mit einer anderen Krankheit:
„Manche Mutationen des Gens verursachen eine seltene neurologische Erkrankung, die Hyperekplexie“, erklärt Professor Jürgen Deckert, SFB-Mitglied und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Würzburg: Die Muskeln der Patienten sind ständig überspannt, und in Schrecksituationen kommt es bei ihnen zu einer überschießenden Reaktion. Das kann so weit gehen, dass die Betroffenen unwillkürlich stürzen. Ähnlich wie Personen mit Angsterkrankungen entwickeln sie ein Verhalten, mit dem sie potenzielle Schrecksituationen meiden.
Das „Furchtnetzwerk“ im Gehirn wird aktiviert
Es sind aber wieder andere Varianten des Gens GLRB, die nun erstmals mit Angst- und Panikstörungen in Verbindung gebracht werden. Sie treten häufiger auf und haben vermutlich nicht so schwere Auswirkungen. Aber auch sie führen zu überschießenden Schreckreaktionen und in der Folge möglicherweise zu einer übermäßigen Aktivierung des „Furchtnetzwerkes“ im Gehirn. Das schließen die Würzburger Forscher aus hochauflösenden Bildern, die sie von den Gehirnaktivitäten der Studienteilnehmer gemacht haben.
„Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass hier ein bisher nicht bekannter Weg zur Entwicklung einer Angsterkrankung vorliegt“, sagt Deckert. Weitere Untersuchungen müssten nun zeigen, ob sich das für die Entwicklung neuer oder individueller Therapien nutzen lässt. Denkbar ist es zum Beispiel, das vom Gen GLRB falsch regulierte „Furchtnetzwerk“ mit Medikamenten wieder auf die richtige Bahn zu bringen.