Die Ampel im Gehirn

Forschungsgruppe liefert neue Einsichten zur Rolle von Teilbereichen des präfrontalen Cortex

13.02.2017 - Deutschland

Die Entscheidung, wann das Gehirn auf einen externen Reiz mit der Unterdrückung von Handlungsimpulsen reagiert und wann nicht, hängt ganz maßgeblich vom Gleichgewicht zwischen Arealen der Bewegungshemmung und -erregung im präfrontalen Cortex (PFC) ab. Neuronale Verknüpfungen an der Stirnseite der Großhirnrinde sorgen dafür, dass sich das Gehirn bewusst für oder gegen eine Reaktion entscheiden kann. Wie die einzelnen Areale des präfrontalen Cortex in diesem Prozess zusammenwirken und welche jeweilige Rolle ihnen dabei zukommt, war bisher unbekannt. Ein internationales Team um die Freiburger Forscherin Stefanie Hardung aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ilka Diester, einem Mitglied des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools und des Bernstein Center Freiburg, hat jetzt die Rolle von fünf Unterregionen des präfrontalen Cortex in der Bewegungsentscheidung identifiziert. Die Studie könnte vor allem für die weitere Erforschung von Erkrankungen mit Impulskontrollstörung von Bedeutung sein.

Michael Veit

„Die unterschiedlichen Areale des präfrontalen Cortex lassen sich am Beispiel einer Ampel erklären“, sagt Stefanie Hardung. „So sind bestimmte Unterregionen des PFC für die Hemmung von Reizen verantwortlich, andere wiederum für die Reaktionsvorbereitung oder für die Erregung.“ In einem Versuch trainierten die Forscherinnen und Forscher gentechnisch manipulierte Ratten auf reaktives und proaktives Stoppen: „Während sich reaktives Stoppen auf Situationen bezieht, in denen ein Tier durch ein externes Signal zum Stoppen aufgefordert wird, entwickelt sich proaktives Stoppen durch eine zielgerichtete subjektive Entscheidung“, so Hardung. Ratten, die einen Hebel festhalten, sollten diesen als Reaktion auf ein Signal loslassen. Ein anderes Signal bedeutete, dass die Tiere den Hebel weiterhin betätigen sollten. Die Optogenetik erlaubte es der Forschungsgruppe, gentechnisch manipulierte Gehirnzellen mithilfe von Licht gezielt zu deaktivieren. So konnte das Team systematisch bestimmte Unterregionen des PFC der Versuchstiere abschalten und den Einfluss der jeweiligen Regionen auf die Bewegungsentscheidung testen. Die Optogenetik ermöglichte es der Gruppe außerdem, die Ergebnisse direkt mit dem Verhalten desselben Tieres zu vergleichen, wenn alle Areale intakt waren.

Die Deaktivierung bestimmter PFC-Areale veränderte die Leistungsfähigkeit deutlich: Eine Unterdrückung von Gebieten des infralimbischen Cortex (IL) oder des orbitofrontalen Cortex (OFC) behinderte die Fähigkeit der Ratten, auf externe Reize schnell zu reagieren. Wurde dagegen der prälimbische Cortex (PL) deaktiviert, reagierten die Ratten mehrheitlich vorzeitig. Wenn alle Areale intakt waren, beobachteten die Forscher mithilfe elektrophysiologischer Messmethoden, dass die neuronale Aktivität im PL kurz vor den vorzeitigen Reaktionen bedeutend zurückging.

Die Erkenntnisse der Forscher stützen die Annahme, dass der infralimbische und der prälimbische Cortex in der Steuerung proaktiver Bewegung als Reaktion auf externe Reize sowie der orbitofrontale Cortex in der Kontrolle von reaktivem Verhalten die Rolle von Gegenspielern einnehmen. Daher könnte ihre Studie als Ausgangspunkt für neue Ansätze in der Erforschung von Impulskontrollstörungen wie der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) oder Zwangsstörungen dienen. „Die Optogenetik ist für die Versuchstiere weniger belastend als chirurgische oder pharmakologische Eingriffe“, erklärt Hartung. „Sie erlaubt es uns, unterschiedliche Hirnareale schnell und reversibel zu deaktivieren, ohne die Vernetzungen und Schaltungen zu beeinträchtigen. Daher bietet sich unser Tiermodell besonders an, um Impulskontrollstörungen zu erforschen.“

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