Wie multiresistente Keime entschärft werden können

Forscher analysieren Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Antivirulenz-Strategien

07.02.2017 - Deutschland

Zunehmende Antibiotikaresistenzen zahlreicher Krankheitserreger sind eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin. Viele der gängigen Antibiotika zeigen hierdurch schon heute keine Wirkung mehr. Daher sind Alternativen zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Bakterien, wie beispielsweise die Antivirulenz-Therapie, dringend notwendig. Antivirulenz-Therapien zielen darauf ab, die Eigenschaften eines Erregers, die eine erfolgreiche Besiedlung des Wirtes ermöglichen – sogenannte Virulenzfaktoren – durch spezifische Arzneistoffe direkt im Körper abzuschwächen.

© HZI/Manfred Rohde

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Staphylococcus aureus.

Um die Anwendbarkeit dieser Antivirulenz-Strategien zu überprüfen, entschlüsselten HZI-Forscher jetzt erstmals im Organismus – also in vivo – mittels modernster Sequenziermethoden das Zusammenspiel von Bakterien mit dem Immunsystem von Mäusen. Am Beispiel von Staphylococcus aureus entdeckten sie, dass sich Unterschiede in der Immunantwort von Mäusen und die daraus resultierenden unterschiedlichen Krankheitsverläufe stark auf die Ausprägung der spezifischen Virulenz eines Erregers auswirken. Dies wiederum beeinflusst die Effektivität von Antivirulenz-Strategien. Da sich die Immunantwort auch bei Menschen individuell unterscheidet, zeigen diese Ergebnisse, dass ein erfolgreicher Einsatz der Antivirulenz-Therapie in der Klinik vor allem im Rahmen einer personalisierten Infektionsmedizin möglich sein wird.

Infektionen mit multiresistenten Keimen nehmen weltweit zu, was zu schweren Komplikationen etwa bei Gelenkoperationen, in der Chemotherapie oder bei der Versorgung von Frühchen führen kann. Bereits jetzt sterben weltweit mehr als 700.000 Menschen pro Jahr an Infektionen mit resistenten Erregern. Viele Forscher arbeiten deshalb an neuen Antibiotika und alternativen antimikrobiellen Medikamenten. Eine besonders attraktive Option ist die Antivirulenz-Therapie, die darauf abzielt, mit speziellen Medikamenten spezifische Virulenzfaktoren eines Krankheitserregers auszuschalten – er selbst bleibt dabei am Leben. Konkret werden zum Beispiel Haftmoleküle oder die Kommunikationsschnittstellen der Bakterien – sogenannte Quorum-Sensing-Signale – blockiert. Wissenschaftler arbeiten daran, mithilfe dieser Strategie bakterielle Krankheitserreger während der Infektion so zu stören, dass sie nicht in der Lage sind, den Wirtsorganismus effektiv zu besiedeln und Infektionen auszulösen.

„Durch die Antivirulenz-Therapie wird das Immunsystem des Wirtes in die Lage versetzt, die Infektion mit dem abgeschwächten Erreger selbst oder mit Unterstützung eines Antibiotikums zu besiegen“, sagt Prof. Eva Medina, Leiterin der Abteilung Infektionsimmunologie am HZI. „Da die Keime am Leben und vermehrungsfähig bleiben, entsteht kein Selektionsdruck, wodurch wiederum eine Resistenzbildung verhindert werden soll.“ Das Konzept der Antivirulenz-Therapie stecke allerdings noch in den Kinderschuhen und es seien weitere umfangreiche Forschungsarbeiten notwendig, um es in die Praxis zu überführen. „Ein sehr wichtiger Aspekt, der bei der Entwicklung neuer Antivirulenz-Konzepte berücksichtigt werden muss, ist die Tatsache, dass sich die krankmachenden Eigenschaften eines Erregers nicht immer gleich ausbilden“, sagt Medina. „Die spezifische Ausprägung dieser Eigenschaften wird stark durch die direkte Umgebung während der Infektion beeinflusst.“ Es sei daher wichtig zu verstehen, welchen Einfluss die spezifische Immunantwort des einzelnen Individuums auf die Genaktivität eines Krankheitserregers hat. Dies haben die Wissenschaftler am HZI jetzt am Beispiel des bedeutenden Krankenhauskeims Staphylococcus aureus untersucht.

„Für die Studie wurden Infektionsexperimente mit verschiedenen Mauslinien durchgeführt“, sagt Robert Thänert, Wissenschaftler im Team von Eva Medina. „Eine der untersuchten Mauslinien reagierte sehr empfindlich auf Staphylococcus aureus und entwickelte infolge der Infektion eine starke Sepsis. Eine zweite Mauslinie zeigte dagegen nur einen sehr milden Krankheitsverlauf.“ Die anschließende Sequenzierung der RNA-Profile – also der Gesamtheit aller aktiven Gene – machte es erstmals möglich, in lebenden Organismen während einer Infektion gleichzeitig die genetische Aktivität von Wirt und Krankheitserreger zu bestimmen.

Eva Medina ergänzt: „Durch die Kombination der RNA-Profile des Erregers mit denen eines resistenten und eines empfindlichen Wirtes konnten wir zeigen, dass sich Unterschiede in der Immunantwort des Wirtes auf die Genaktivität von Staphylococcus aureus während der Infektion auswirken. Die bei Mäusen bestehende Variabilität gegenüber Staphylococcus-Bakterien wird auch bei Menschen beobachtet und resultiert unter anderem aus Unterschieden des Alters oder der spezifischen genetischen Ausstattung.“

Dass es vom Wirt abhängt, wie stark die Virulenzfaktoren von Krankheitserregern ausgeprägt werden, könnte eine effektive Anwendung von Antivirulenz-Therapien jedoch auch limitieren. „Dies ist eine sehr wichtige Information aus der Studie, um funktionierende Antivirulenz-Konzepte zu entwickeln“, sagt Eva Medina. „Im besten Fall sind die krankmachenden Faktoren der Bakterien, auf die künftige Therapien abzielen sollen, nicht wirtsabhängig.“ Anderenfalls müsse die Antivirulenz-Strategie für verschiedene Patienten individuell angepasst werden. Prinzipiell, so die HZI-Forscher, sei die entwickelte in vivo-Methode auf verschiedene Erreger anwendbar und könne damit weitere wichtige Forschungsexperimente anregen, um die Antivirulenz-Therapie als auf den Patienten maßgeschneiderte – personalisierte – Behandlung in der Klinik einzusetzen.

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