Bei Mikroorganismen macht das Nagoya-Protokoll viele zu Verlierern

Abkommen bringt Entwicklungsländern keine zusätzlichen Gewinne und bedroht mikrobiologische Forschung

06.12.2016 - Deutschland

Die aktuell oft restriktive Umsetzung des Nagoya-Protokolls droht die mikrobiologische Grundlagenforschung deutlich zu erschweren und zudem das Gegenteil dessen zu bewirken, was mit seiner Einführung erreicht werden sollte. Statt eine gerechte Verteilung der Gewinne, die sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen ergeben, zu ermöglichen, könnten Entwicklungsländer und ihre Wissenschaftler von der internationalen Forschung und Zusammenarbeit abgehängt werden. Zu dieser Einschätzung kommen Professor Jörg Overmann und Dr. Amber Hartman Scholz vom Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in einer Analyse, die sie im Fachmagazin Trends in Microbiology veröffentlicht haben.

Ursachen für diese Entwicklung sind demnach einige dem Nagoya-Protokoll zugrundeliegende Annahmen zur biologischen Vielfalt, die sich nicht auf Mikroorganismen übertragen lassen. So gibt es im Unterschied zu höheren Pflanzen und Tieren bei Mikroorganismen keine Hotspots der Artenvielfalt. „Die meisten Bakterien sind wahre Kosmopoliten und kommen so gut wie weltweit vor“, erläutert DSMZ-Geschäftsführer Overmann. Mit dem Ergebnis, dass Wissenschaftler Länder mit nicht praktikablen Vorschriften für Sammlungs-Expeditionen nun eher meiden. Overmann und Scholz befürchten daher, dass statt der angestrebten Beteiligung weniger internationale Zusammenarbeit und Wissenstransfer in die Entwicklungsländer stattfinden wird.

Hinzu kommt eine falsche Vorstellung davon, wie leicht kommerzieller Nutzen aus einer Ressource gezogen werden kann. „Teilweise existiert wohl die Ansicht, dass quasi in jedem Bakterium ein Multimillionen-Dollar-Präparat schlummert“, vermutet Overmann. Viele Länder würden daher versuchen, ihre Ressourcen wie eine Goldgrube zu schützen und den Zugang streng zu reglementieren, so der Experte. Tatsächlich liefert jedoch statistisch gesehen nur einer von 100.000 Bakterienstämmen die Grundlage für ein pharmazeutisches Produkt. Gleichzeitig schlagen Isolierung und Identifizierung jedes einzelnen Stamms mit bis zu 10.000 Euro zu Buche. Kosten von bis zu einer Milliarde Euro für die Isolierung letztendlich eines einzigen geeigneten Mikroorganismus sind ein finanzielles Risiko, das selbst Pharmafirmen in der Regel nicht eingehen.

Einen wichtigen Beitrag leistet hier stattdessen die mikrobiologische Grundlagenforschung, durch die neuartige Mikroorganismen überhaupt erst entdeckt und ihre Eigenschaften verstanden werden. Sie wird allerdings immer häufiger durch strenge Regulierungen nach dem Nagoya Protokoll behindert. „Dort wird der Begriff der Nutzung viel zu weit gefasst“, erläutert Jörg Overmann. In dem Abkommen bezieht sich Nutzung nicht nur auf eine kommerzielle Verwertung, sondern schließt auch sämtliche Grundlagenforschung und die Hinterlegung von Stämmen in öffentlichen Sammlungen ein. Dabei ist mit der mikrobiologischen Forschung in aller Regel kein kommerzielles Interesse verbunden. Und in den sehr seltenen Fällen wo eine Kommerzialisierung erfolgt, könnte gerade über die Hinterlegung in öffentlichen Sammlungen eine Rückverfolgbarkeit der Ressource und eine Nachverhandlung mit dem Ursprungsland gewährleistet werden.

Bislang haben erst 80 Staaten das Nagoya-Protokoll ratifiziert. Overmann und Scholz hoffen, dass die noch folgenden Staaten eine ausgewogene Ausgestaltung festlegen, die zum beiderseitigen Vorteil ist. „Länder, die die wissenschaftliche Neugier als kommerzielles Interesse oder gar Biopiraterie missverstehen und deshalb eine starre Haltung einnehmen, vergeben die Chancen für ihre eigene Forschung und Entwicklung“, ist Overmann überzeugt. Sie werden im Nachteil sein gegenüber jenen Ländern die eine vertrauensvolle, wissenschaftlich informierte, kooperative und effiziente Umsetzung des Nagoya Protokolls ansteuern. Diese würden von Forschung und Entwicklung profitieren, einen deutlichen Wettbewerbsvorteil in Wissenschaft und Bioökonomie erfahren und damit ihre eigene Entwicklung unterstützen.

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