Ethylpyruvat hemmt Wachstum von Krebszellen, Bakterien, Pilzen und Protozoen
Glykolysehemmung hungert Zellen aus
Prof. Dr. Birkenmeier, Universität Leipzig
Die Grundlage für diese erstaunliche Wirkung ist wohl dem hohen Energieverbrauch von Zellen bei der Vermehrung geschuldet. Ethylpyruvat hemmt wichtige Enzyme der Glykolyse, ein Stoffwechselweg, der Glukose in das energiereiche Substrat ATP umwandelt. Damit ist der Hungertod von Zellen vorprogrammiert.
Viele Chemotherapeutika schädigen nicht nur Krebszellen sondern auch gesunde Zellen
In Untersuchungen um das Team von Prof. Gerd Birkenmeier wurden verschieden Leukamiezellen dem Ethylpyruvat ausgesetzt und dadurch in den Zelltod (Nekroptose) getrieben. Dazu zählen auch Zellen, die infolge einer Mutation das fusionierte Bcr-Abl Gen besitzen, welches über die Aktivierung einer Tyrosinkinase, auch bekannt unter der Philadelphia-positiven Leukämie, für das ungehemmte Wachstum der Zellen verantwortlich zeichnet. Imatinib, ein Medikament welches die Kinase hemmt, zeigt sich in zunehmendem Maße infolge von Resistenzentwicklung problematisch in der klinischen Anwendung. Eigentlich ist Ethylpyruvat entwickelt und bereits in klinischen Studien eingesetzt worden, um Entzündungen und eine vermehrte Radikalbildung zu unterdrücken. Da diese zellulären Vorgänge in der Regel auch mit einer Zellaktivierung einhergehen, zeigen sich Parallelen hinsichtlich seiner antileukämischen Wirkung. Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung der Wissenschaftler, dass bei einer Abtötungsrate von ca. 100% der Leukämiezellen noch ca. 70% der gesunden weißen Blutzellen überleben und ihre vollen Funktionen beibehalten. Anders als bei den meisten Chemotherapeutika zeigt das Mittel zumindest in den in vitro Untersuchungen ein großes therapeutisches Fenster. Dies lässt hoffen, dass nach weitere Untersuchungen und Substanzoptimierungen ein völlig neuer Weg in der Leukämiebehandlung gegangen werden kann.
Nicht nur Krebszellen werden abgetötet
Nicht wenig erstaunt waren die Wissenschaftler um Prof. Gerd Birkenmeier als sie das Konzept der Glykolysehemmung auch auf Bakterien und Pilzen übertrugen. Diese Mikroorganismen nutzen diesen Stoffwechselweg ebenfalls sehr intensiv. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Mikrobiologie und der Abteilung für Angiologie des Universitätsklinikums Leipzig wurde die Wirkung von Ethylpyruvat auf eine Vielzahl von Pathobionten inklusive die Krankenhauskeime MRSA und EHEC getestet. In nahezu 100% der Fälle wurden die Bakterien abgetötet. Die meisten Vaginalkeime wurden ebenfalls gehemmt – mit Ausnahme der eubiontischen, d.h. gewünschten Keime aus der Gruppe der Laktobazillen. Ein Abklatsch von nichtdesinfizierten Händen auf Blutagarplatten zeigt in beeindruckender Weise die unerwartete breite antimikrobielle Wirkung des Ethylpyruvates. Ethyllaktat, welches sich in nur zwei Protonen vom Ethylpyruvat unterscheiden, ist demgegenüber wirkungslos. Die Autoren konnten zeigen, dass selbst Antibotika-resistente Candida Spezies der Wirkung des Ethylpyruvates erliegen. Dem Ganzen wird noch die Krone aufgesetzt, wenn die Mikroorganismen angefüttert werden, z. B. durch die Gabe von Glukose. Dann erhöhen sich der glykolytische Durchsatz und damit die Empfindlichkeit gegenüber Ethylpyruvat.
Von gegenwärtig kaum abzuschätzender Bedeutung ist der Nachweis der Autoren, dass Ethylpyruvat sogar sehr effektiv Biofilme abtötet. Biofilme bereiten uns riesige Probleme, seien es in der Medizin, Getränkeindustrie, Sanitäreinrichtungen, Metallindustrie, Atomkraftwerken und in vielen anderen Bereichen. Biofilme sind mikrobielle Lebensgemeinschaften aus Bakterien, Pilzen und anderen Mikroorganismen, die sich mit einer schützenden Hülle (Matrix) umgeben und sich an festen Oberflächen verankern. Die Matrix wird von den Mikroorganismen selbst sezerniert und besteht aus Polysacchariden, DNS, Proteinen und Glykolipide. Wer hat nicht schon einmal die schleimig-glitschige Wand eines Swimmingpools berührt, oder den Deckel eines Badewannenabflusses hochgehoben? Dann sehen Sie den Biofilm. Aber bleiben wir in der Medizin. Zahnbeläge, die visköse, gelbe Schicht auf dem Wundbett diabetischer Ulcera, der widerstandsfähige Film in den Lungen von Mukoviszidose Patienten, die Besiedlung von Kathetern und Implantaten sind nur wenige Beispiele, die die Problematik in Bezug auf Biofilme zeigen. Um Biofilme im medizinischen Bereich zu beseitigen, muss man häufig 100-1000fach höhere Konzentrationen eines Antibiotikums einsetzten im Gegensatz zur Anwendung bei planktonischen Mikroorganismen. Die Organisation in Biofilmen bietet einen sicheren Schutz für Mikroben und dabei gleichzeitig eine Penetrationsbarriere für antimikrobielle Mittel. Die Autoren konnten zeigen, dass neben der Abtötung von Mikroorganismen ebenfalls die schützende Biofilmmatrix zerstört wird. Eine Eigenschaft, die kaum ein auf dem Markt befindliches nicht toxisches Mittel aufweisen kann. Die möglichen Einsatzgebiete für Ethylpyruvat sind daher gewaltig – nämlich überall dort, wo in schonender Art und Weise Biofilme zerstört werden müssen. Hier ist zu denken an die Behandlung von infizierten diabetischen Ulzera, die Anwendung in der Implantologie sowie die Behandlung von infizierten chirurgischen Wunden etc. Von großem Vorteil ist die Tatsache, dass Ethylpyruvat gleichzeitig mehrere zellulären Targets besitzt – eine Tatsache, die die Entwicklung einer Resistenz sehr einschränkt.