Maßgeschneiderte Strategie gegen Glioblastome
Roman Reinartz/Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Uni Bonn
Glioblastome zählen zu den häufigsten und bösartigsten Hirntumoren. „Charakteristisch ist, dass die Tumorzellen eine große Verschiedenartigkeit aufweisen“, sagt Prof. Dr. Björn Scheffler vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn, der seit kurzem auch am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg forscht und eine Professur am Universitätsklinikum Essen innehat. Die Zellen in einem solchen Hirntumor können sehr unterschiedliche Eigenschaften wie zum Beispiel hinsichtlich der Größe der Zellen oder der Zahl der Zellkerne aufweisen. Weil die verschiedenen Krebszellen innerhalb eines Tumorgewebes auch unterschiedliche Abwehrmethoden gegen Therapiemaßnahmen entwickeln, gestaltet sich die Behandlung der Patienten außerordentlich schwierig. Nach einer operativen Entfernung, Bestrahlung und Chemotherapie kehrt diese Tumorart häufig wieder, Medikamente wirken dann meist nicht mehr.
Ein Team um Prof. Scheffler aus Forschern des Universitätsklinikums Bonn, des Life & Brain Zentrums, des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung, der Tufts University Boston/Massachusetts und weiterer Institute in den USA hat nun einen neuen Weg entwickelt, wie sich solch komplexe Hirntumore absehbar besser bekämpfen lassen. Aus Gewebe- und Zellproben von fünf Glioblastom-Patienten gewannen die Wissenschaftler insgesamt 33 individuelle, vermehrungsfähige Krebszellen, die im Labor zu sehr unterschiedlichen Tumoren heranwuchsen. Für jeden Patienten standen somit mehrere Testsysteme zur Verfügung, um die unterschiedlichen Facetten eines Tumors repräsentativ und separat untersuchen zu können.
Für jede individuelle Krebszelle werden 180 Wirkstoffe getestet
Um für jede einzelne dieser 33 Tumor-Facetten die beste Therapie zu finden, testeten die Forscher rund 180 verschiedene Wirkstoffe. Dabei machten die Wissenschaftler eine überraschende Beobachtung: „Ein und derselbe Wirkstoff konnte dafür sorgen, dass die meisten Tumor-Facetten abstarben“, berichtet Erstautor Roman Reinartz aus Prof. Schefflers Team. Die Krebszellen einzelner anderer Tumor-Facetten des gleichen Patienten überlebten die Behandlung allerdings und konnten sich sogar viel stärker vermehren. „Diese zunächst resistenten Tumor-Facetten ließen sich mit anderen Wirkstoffen dann viel wirksamer bekämpfen.“
Die Verschiedenartigkeit der Tumorzellen erfordert den Einsatz von kombinierten Therapiemaßnahmen. Wie viele Medikamente wären aber nötig, um alle Facetten eines Tumors wirksam zu bekämpfen? „Im besten Falle zwei“, erläutert Reinartz. Statt wie bisher auf zeitgleiche Anwendung von kombinierten Chemotherapien zu setzen, wollen die Forscher künftig nämlich schrittweise vorgehen. Und so könnte die Therapie der Zukunft aussehen: Um den Tumor an der Weiterverbreitung im Gehirn zu hindern, werden wie bisher Teile operativ entfernt. An den gewonnenen Gewebeproben könnten künftig Labortests durchgeführt werden, um das Ansprechverhalten der verschiedenen Tumor-Facetten zu katalogisieren. Für jeden Patienten könnte dann die geeignete Kombinationsbehandlung entworfen werden, die im ersten Schritt aus der Vielzahl unterschiedlicher Tumorzellen eine Anhäufung gleichartiger Krebszellen machen würde. Im zweiten Schritt könnte genau die Substanz herausgesucht werden, die die schärfste Waffe gegen die speziell angereicherte Tumor-Facette darstellt.
Wissenschaftler bringen Ordnung ins Chaos
Bislang verhindert die Verschiedenartigkeit der Krebszellen bei einem Glioblastom die erfolgreiche Behandlung, weil sich womöglich einige der resistenten Tumor-Facetten unter Chemotherapie verstärkt vermehren. Mit ihrer Methode bringen die Wissenschaftler nun Ordnung ins scheinbare Chaos. „Wie bei einem Auto, das in seine Einzelteile zerlegt und auf Schäden geprüft wird, untersuchen wir die verschiedenen Krebszellen“, vergleicht Prof. Scheffler die Vorgehensweise. Wenn die Eigenschaften der Zellen des Tumors bekannt seien, könne mit diesem Wissen das komplexe System in die richtige Richtung gelenkt werden.
Mit Förderung durch das Lichtenberg-Programm der VolkswagenStiftung haben die Forscher um Prof. Scheffler an der Universität Bonn rund acht Jahre die Eigenschaften und Mechanismen der Glioblastome untersucht. „Unsere Strategie kann die Therapiechancen künftig absehbar erheblich verbessern, weil der Weg über die Tumorproben uns eine sehr genaue Vorhersage für die maßgeschneiderte Behandlung der Patienten erlaubt“, sagt Prof. Scheffler. Die Forscher haben diese Schritte bereits an Mäusen erfolgreich nachvollzogen. Um die Therapie auch für Menschen verfügbar zu machen, ist jedoch noch weitere Forschung erforderlich.