Photovoltaik und Photosynthese

Pilotanlage am Bodensee kombiniert Strom- und Nahrungsmittelproduktion

21.09.2016 - Deutschland

Unter dem Titel »Kartoffeln unter dem Kollektor« veröffentlichte Prof. Adolf Goetzberger 1981 in der Zeitschrift Sonnenenergie einen »Vorschlag für eine besonders günstige Anordnung für Solarenergieanlagen in Verbindung mit der landwirtschaftlichen Nutzung«. Nachdem das Konzept einige Jahre in der Schublade verschwunden war, beschäftigten sich Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solar Energiesysteme ISE seit 2011 wieder intensiv mit der Agrophotovoltaik (APV), der gleichzeitigen Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die Energiegewinnung.

© Fraunhofer ISE

Die Agrophotovoltaik-Pilotanlage in Heggelbach am Bodensee kombiniert Strom- und Nahrungsmittelproduktion.

Jetzt können die Wissenschaftler des Fraunhofer ISE gemeinsam mit Partnern des heutigen Projekts »APV-Resola« die Ernte des Gedankens von damals einholen: Am 18. September 2016 weihen sie in einem Pilotprojekt am Bodensee die größte APV-Forschungsanlage in Deutschland ein. Bei diesem Anlass wird auch die Auszeichnung als Ort im Land der Ideen überreicht.

Der rasante Zubau an Photovoltaik (PV)-Kraftwerken auf Freiflächen in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt rückt die zunehmende Landnutzungskonkurrenz zwischen der Produktion von erneuerbaren Energien und Nahrungsmitteln immer mehr in den Fokus. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg haben eine frühe Idee ihres Institutsgründers aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit der BayWa r. e., den Elektrizitätswerken Schönau (EWS), der Hofgemeinschaft Heggelbach, dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), der Universität Hohenheim sowie dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben und der lokalen Bevölkerung nun eine Pilotanlage für APV realisiert. Agrophotovoltaik bedeutet eine innovative, ressourceneffiziente Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen, welche die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern unterhalb von PV-Freiflächenanlagen erlaubt. »Angesichts des dynamischen, weltweiten Wachstums der Photovoltaik im letzten Jahrzehnt und dem damit verbundenen steigenden Flächenbedarf für PV-Anlagen, erlauben innovative Konzepte wie die Agrophotovoltaik eine Doppelnutzung agrarischer Flächen und helfen so dem weiteren, raschen Umbau des globalen Energiesystems«, so Prof. Dr. Eicke R. Weber, Institutsleiter am Fraunhofer ISE.

Im März 2015 startete die APV-Projektgruppe in der Modellregion Bodensee-Oberschwaben nach umfassenden Untersuchungen, Modellierungen und Simulationen das Pilotvorhaben, in dessen Rahmen jetzt die APV-Pilotanlage auf Ackerflächen der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach installiert und in Betrieb genommen wurde. Eine Testfläche von insgesamt ca. 2,5 Hektar wird hierfür eingesetzt. Davon beansprucht die APV-Anlage einen Drittel Hektar. Unter den in fünf Metern Höhe montierten PV-Modulen werden in der Projektlaufzeit vier Kulturen – Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie – gleichzeitig angebaut. Auf dem übrigen Testacker hat das Projektteam eine Referenzfläche in der gleichen Größe, mit der gleichen Bepflanzung angelegt, aber ohne PV-Module. Aus dem direkten Vergleich werden die Wissenschaftler ableiten, welche Gemüsearten oder Feldfrüchte besonders für die APV-Anlage geeignet sind und eine möglichst effiziente Doppelnutzung der Landfläche ermöglichen.

Die installierte Leistung der APV-Anlage von 194 kWp kann den Strombedarf von rund 62 Haushalten decken. Der überschüssige Strom wird von den Elektrizitätswerken Schönau abgenommen. Die APV-Anlage ist mit sogenannten bifazialen PV-Modulen der deutschen Firma SolarWorld bestückt. Diese können nicht nur vorderseitig Sonneneinstrahlung in Strom umwandeln, sondern über die Rückseite auch die reflektierte Strahlung der Umgebung aufnehmen. Sie erhöhen den Energieertrag pro Fläche und sorgen durch die beidseitige Zellverglasung für eine homogenere Lichtverteilung über den Pflanzen. »Der Landwirtschaftssektor steht u. a. vor der Herausforderung, den starken Ausbau der erneuerbaren Energien und damit verbunden den Wandel von Kulturlandschaften hin zu Energielandschaften zu bewerkstelligen«, so Stephan Schindele, Projektleiter am Fraunhofer ISE. »In diesem Kontext kann die Agrophotovoltaik ein wegweisender Lösungsansatz für die Zukunft sein.«

Gemeinsam mit dem österreichischen Solartechnikhersteller Hilber Solar wurde eine Unterkonstruktion entwickelt, die an die spezifischen Gegebenheiten des Geländes vor Ort angepasst ist und durch eine modulare Bauweise zukünftig mit minimalem Aufwand flexibel an andere Einsatzorte angepasst werden kann. »Wir sind gespannt auf den Praxistest der APV-Pilotanlage«, so Thomas Schmid von der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach. »Für uns ist entscheidend, dass die Anlage einfach zu handhaben ist und ein Ernteertrag von mindestens 80 Prozent im Vergleich zum Referenzfeld ohne PV-Module erzielt werden kann.« Bis 2019 werden die Projektpartner die Pilotanlage gemeinsam betreiben. Im Sommer 2017 und 2018 ist jeweils Erntezeit unter der APV-Anlage in Heggelbach. Danach werden die Ergebnisse in den einzelnen Arbeitsgebieten ausgewertet und in einem gemeinsamen Abschlussbericht veröffentlicht.

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