Wasserdicht dank Biofilm
Mörtel mit Bakterienfilm-Beimischung ist besonders resistent gegen Feuchtigkeit
Stefan Grumbein / TUM
Mit Ziegeln, Mörtel und Beton hat Prof. Oliver Lieleg für gewöhnlich wenig zu tun. Als Professor für Biomechanik am Zentralinstitut für Medizintechnik (IMETUM) und der Fakultät Maschinenwesen beschäftigt er sich hauptsächlich mit Hydrogelen aus Biopolymeren, etwas flapsig könnte man sagen: mit Schleim, der von Lebewesen gebildet wird.
Dazu zählen zum Beispiel bakterielle Biofilme wie Zahnbelag oder die schleimige, schwarze Schicht in Abflussrohren. „Biofilme gelten im Allgemeinen als schädlich und störend, das ist etwas, was man eher loswerden will“, sagt Oliver Lieleg. „Für mich war es deshalb reizvoll, sie für eine sinnvolle Anwendung nutzbar zu machen.“
Inspiration im Gespräch
Im Gespräch mit einem Kollegen an der TUM kam Lieleg die Idee, Biofilme zu nutzen, um die Eigenschaften von Baumaterial zu verändern. Prof. Christian Große ist Inhaber des Lehrstuhls für Zerstörungsfreie Werkstoffprüfung und forscht unter Anderem zu selbstheilendem Beton, der Risse selbständig schließt. Einer Variante dieses Betons sind Bakterien beigemischt, die durch eintretende Feuchtigkeit aktiviert werden und die Risse durch kalkhaltige Stoffwechselprodukte wieder schließen.
Für sein eigenes Projekt nahm sich Lieleg anstelle von Beton Mörtel vor. Statt Risse im Nachhinein zu flicken, will er jedoch verhindern, dass Feuchtigkeit überhaupt erst eindringt und für Probleme sorgt indem sich etwa Schimmel bildet oder gefrierendes Wasser kleine Spalten weiter aufsprengt. Dafür macht er sich zunutze, dass einige Filme, die von Bakterien gebildet werden, stark wasserabweisend sind. Im Fachmagazin „Advanced Materials“ schildern Lieleg und seine Kolleginnen und Kollegen, wie man einen sogenannten Hybridmörtel herstellen kann, der besonders resistent gegen Feuchtigkeit ist.
Bodenbakterium als Filmlieferant
Wichtigste Zutat des neuen Materials ist der Biofilm eines Bakteriums namens Bacillus subtilis. „Bacillus subtilis lebt normalerweise in Böden und ist sehr weit verbreitet“, erläutert Oliver Lieleg. „Wir haben für unsere Experimente einen einfachen Laborstamm genutzt, der sich gut vermehren lässt, viel Biomasse bildet und völlig ungefährlich ist.“ Im Labor züchtete das Team um Lieleg den Bakterienfilm auf Standard-Nährböden. Den feuchten Biofilm mischten sie dann unter das Mörtelpulver.
Auf dem fertigen Hybridmörtel blieb Wasser deutlich weniger haften, als auf unbehandeltem. Um diese Eigenschaft einer Oberfläche zu messen, bestimmen Wissenschaftler den Kontaktwinkel, den ein Wassertropfen zur Oberfläche hat. Je steiler der Winkel, desto kugelförmiger ist ein Tropfen und desto weniger sickert er in das jeweilige Material ein. Während dieser Winkel bei Tropfen auf unbehandeltem Mörtel 30 Grad oder weniger beträgt, ist er bei Tropfen auf dem Hybridmörtel gut dreimal so steil. Einen ähnlichen Kontaktwinkel haben Wassertropfen auf Polytetrafluorethylen, besser bekannt unter dem Markennamen Teflon.
Nanostrukturen im Mörtel
Der Grund für die Eigenschaften des Hybridmörtels ist nur mit dem Elektronen-Mikroskop sichtbar: Überall an der Oberfläche befinden sich winzige kristalline Stacheln. Dadurch kommt es zum sogenannten Lotuseffekt, der beispielsweise auch auf den Blättern der namensgebenden Pflanze auftritt. Die kleinen gleichmäßigen Strukturen auf der Oberfläche sorgen dafür, dass nur ein kleiner Teil der Oberfläche eines Wassertropfens die eigentliche Oberfläche des Blattes berührt. Dadurch wird die Oberflächenspannung des Tropfens stärker als die Kräfte, die ihn am Blatt haften lassen, er wird kugelförmig und perlt ab. Ein Schnitt durch den Hybridmörtel zeigt, dass die kristallinen Stacheln auch innerhalb des Mörtels gleichmäßig verteilt sind. Dadurch werden Kapillarkräfte verringert, die normalerweise dafür sorgen, dass Wasser in dem Mörtel emporsteigt, wenn ein Teil in Flüssigkeit steht.
Ähnliche Stacheln kommen zwar auch auf unbehandeltem Mörtel vor, sie sind dort aber länger und nur an einzelnen Stellen zu finden. Ein Lotuseffekt kann nicht entstehen. Erst der beigemischte Biofilm, nehmen die Wissenschaftler an, stimuliert überall im Volumen des Hybridmaterials ein Kristallwachstum, das zudem besonders gleichmäßig ist.
Um herauszufinden, ob der Hybridmörtel widerstandsfähig genug ist, um tatsächlich im Bau verwendet zu werden, wird er derzeit am Lehrstuhl von Christian Große geprüft. „Wenn der Mörtel tatsächlich geeignet ist, sehe ich wenig Probleme für Firmen, ihn im großen Stil herzustellen“, sagt Oliver Lieleg. Sowohl der verwendete Bakterienstamm als auch die Nährböden seien etabliert und relativ kostengünstig. „In unseren Experimenten haben wir außerdem herausgefunden, dass man auch gefriergetrockneten Biofilm nutzen kann. In Pulverform lässt sich das biologische Material sehr viel leichter lagern, transportieren und dosieren.“ In Zukunft wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prüfen, ob sich auch Beton mithilfe des Biofilms gegen Wasser schützen lässt.