Neue antibakterielle Oberfläche schützt orthopädische Implantate

22.07.2016 - Deutschland

Thüringer Forscher haben eine spezielle antibiotikahaltige Beschichtung entwickelt, mit der es gelungen ist, Titanimplantate vor der Besiedlung mit infektionsauslösenden Bakterien zu schützen. In einer vorklinischen Studie haben die Unfallchirurgen, Materialwissenschaftler und Implantathersteller nachgewiesen, dass die neuartige Oberfläche im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten einen wirksamen Schutz vor den gefürchteten implantatassoziierten Infektionen.

Innovent Technologieentwicklung Jena

Raster-Elektronenmikroskopisches (REM) Bild eines antibakteriell beschichteten Implantats. Die Oberfläche ist komplett mit der Schutzschicht aus Tannin und Gentamicin überzogen.

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REM-Bild des gleichen Implantats nach fünf Tagen im Wasserbad: Die dicke Schutzschicht hat sich fast vollkommen abgelöst, nur noch kugelförmige Reste der Tannin-Gentamicin-Schicht sind zu erkennen.

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In Deutschland werden mittlerweile pro Jahr ca. 200.000 Hüftprothesen und 100.000 Knieprothesen implantiert. Diese künstlichen Gelenke funktionieren in fast allen Fällen hervorragend und lassen die Patienten einen Großteil ihrer gewohnten Mobilität wiedergewinnen. Komplikationen bei der operativen Implantation der Kunstgelenke sind selten. „Bei der Implantation einer Hüft- oder Knie-Totalendoprothese liegt die Gefahr einer postoperativen Infektion bei nur 1-2 Prozent. Allerdings stellt eine solche Infektion für die wenigen betroffenen Patienten eine Katastrophe dar“, berichtet PD Dr. Michael Diefenbeck, ehemaliger Mitarbeiter der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Jena, der als Dozent der Universität weiterhin verbunden ist. „Zur Behandlung dieser implantatassoziierten Infektionen sind häufig mehrere Operationen und oft der Wechsel des Kunstgelenks nötig. Daher sind neue Strategien notwendig, um implantatassoziierte Infektionen zu vermeiden“, sagt der Mediziner, der mittlerweile am Universitätsklinikum in Oxford tätig ist.

Beschichtet mit einem Antibiotikum

Eine dieser Strategien ist es, die Oberfläche der Implantate mit antibakteriellen Substanzen auszustatten. Eine solche Beschichtungstechnik wurde im interdisziplinären Verbund von Wissenschaftlern des INNOVENT e. V. in Jena, des Lehrstuhls für Materialwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Thüringer Implantatherstellers Königsee Implantate GmbH entwickelt und getestet. Die spezielle Beschichtung enthält eine hohe Konzentration des Antibiotikums Gentamicin. Zwar sind bereits mehrere antibakterielle Beschichtungen, auch unter Verwendung von Gentamicin, zum Schutz vor Infektionen bekannt. „Die Herausforderung bei diesem Projekt war es, eine relativ große Menge an Gentamicin stabil an die Oberfläche der Implantate zu binden“, betont Dr. Christian Schrader. Der Wissenschaftler vom INNOVENT e. V. testete hierzu verschiedene Trägerstoffe. „Wir haben auf den Implantaten eine Gentamicin-Tannin-Schicht realisieren können, die stark antibakteriell wirkt, dann aber innerhalb von ca. fünf Tagen vollständig abgebaut wird. Das ist wichtig, damit Antibiotikaresistenzen verhindert werden“, so der Chemiker. „Durch die Auflösung dieser antibakteriellen Schutzschicht werden die darunterliegenden Poren in der Titanoberfläche wieder freigegeben, was das Einwachsen von Knochen und so die Verankerung des Implantats verbessert“, ergänzt Jürgen Schmidt, der das Projekt beim INNOVENT e. V. leitet.

Grundlage für eine neue Generation von Implantaten

In einer vorklinischen Studie haben die Wissenschaftler gezeigt, dass die Implantate mit der neuen Oberfläche in über 90 Prozent der Fälle einen Schutz vor der Anhaftung von Bakterien bieten. Dies wurde in mikrobiologischen und histologischen Untersuchungen nachgewiesen. „Diese neuen vorklinischen Erkenntnisse sind nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern könnten auch die Grundlage für eine neue Generation von sicheren Implantaten legen“, sagt Prof. Dr. Klaus D. Jandt. Der Experte für Biomaterialien hat den Lehrstuhl für Materialwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne und arbeitet seit Jahren an der Entwicklung und Strukturierung von Materialien, die zu verschiedenen Zwecken in biologische Systeme integriert werden.

Das Verbundprojekt wurde vom Freistaat Thüringen mit EU-Mitteln in Höhe von 706.975 Euro gefördert. Für die Königsee Implantate GmbH bot es die Möglichkeit zur interdisziplinären wissenschaftlichen Zusammenarbeit. „Das stellt bei der Entwicklung neuer Verfahren für die Implantatherstellung und die Umsetzung in die industrielle Praxis einen wesentlichen Schwerpunkt unserer langfristigen Forschungs- und Entwicklungsstrategie dar", betont Geschäftsführer Frank Orschler.

Mit ihren bisherigen Erfahrungen wollen die Wissenschaftler die neuen Implantate nun auch klinisch einsetzen. „Gerade bei Patienten, bei denen ein erhöhtes Risiko für postoperative Infektionen besteht – z. B. durch Diabetes mellitus, Abwehrschwäche, immunsuppressive Medikamente oder bei Wechseloperationen – könnten diese Implantate zum Einsatz kommen“, so Unfallchirurg Diefenbeck. Aufgrund der anspruchsvollen Zulassungsverfahren für neue Implantate wird es allerdings noch mehrere Jahre dauern, bis die neuen Beschichtungen den Patienten zugutekommen können.

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