Familienplanung mit der „Pille für den Mann“
Hormonexperten fordern verstärkte Forschung
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In Deutschland verhüten 54 Prozent der Paare mit der Anti-Baby-Pille für Frauen, 13,5 Prozent mit der Spirale und etwa 20 Prozent mit Kondomen. Zu fast zwei Dritteln übernehmen damit hierzulande Frauen die Verantwortung für die Familienplanung. Männliche Kontrazeption ist heute auf Abstinenz, Coitus interruptus, Kondome und Vasektomie beschränkt. „Es ist Zeit für neue männliche Kontrazeptiva“, erklärt Professor Dr. med. Dr. h. c. Eberhard Nieschlag, Experte der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) und fasst damit die Deklaration des International Consortium for Male Contraception (ICMC) zusammen. Führende internationale Hormonexperten haben in dem „Pariser Manifest“ ihre Hauptargumente für ein Mehr bzw. ein Wiedererstarken der Forschung im diesem Bereich der männlichen Hormonforschung zusammengetragen.
Einer der wichtigsten Gründe für diese Forderung ist das weltweite Bevölkerungswachstum. In ihren jüngsten Schätzungen gehen die Vereinten Nationen (UN) davon aus, dass die Weltbevölkerung im Jahr 2050 etwa 9,6 Milliarden Menschen betragen wird – 2,3 Milliarden mehr als 2015. Der Ansatz, zusätzlich zu etablierten Methoden der Empfängnisverhütung sichere und verträgliche Verhütungsmethoden für Männer zu finden, wird zudem von einem emanzipatorischen Gedanken getragen: Es sind bisher vor allem die Frauen, die Verantwortung für die Empfängnisverhütung mit allen damit einhergehen Risiken – beispielsweise einer Thromboseanfälligkeit beim Einnehmen der Pille – tragen.
„Die Forschung hat gezeigt, dass sowohl Männer als auch deren Partnerinnen bereit sind, neuartige Methoden inklusive hormoneller männlicher Kontrazeption anzuwenden, sofern sie wirksam, reversibel und gut verträglich sind“, betont Nieschlag. Forschungsansätze zur männlichen Kontrazeption hat es durchaus schon gegeben. Seit Anfang der 1970er Jahre wird an der sogenannten „Pille für den Mann“ geforscht. „Einige Ansätze wurden sogar bis nahe an die Marktreife entwickelt. Aber die Industrie hat dieses Forschungsgebiet verlassen“, bedauert der Experte. Als Gründe dafür führt der ehemalige Direktor des heutigen Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster unklare Zulassungskriterien, geringe Gewinnerwartungen und eine angeblich fehlende Akzeptanz an.
Sowohl hormonelle Ansätze als auch nichthormonelle sollten weiter verfolgt werden, meint Nieschlag. So seien beispielsweise mechanische Methoden zum Verschluss der Samenleiter in der Entwicklung – ein Weg hin zu einer reversiblen, also einer umkehrbaren Vasektomie, wäre damit möglich. Bei der hormonellen Kontrazeption gibt es zwei Richtungen: „Zu den vielversprechendsten Ansätzen gehören heute hormonelle Methoden mit Androgenen, zu denen auch das Testosteron gehört, in Kombination mit Gestagenen“, erklärt Nieschlag. Möglich ist die Verabreichung entweder durch eine Hormonspritze, die etwa alle zehn Wochen verabreicht werden müsse, oder aber ein täglich anzuwendendes Gel. Bei dieser Variante bestehe die „Hürde“ darin, dass der Mann jeden Tag daran denken müsse. Aus den Erfahrungen mit der Anti-Baby-Pille für Frauen weiß man aber, dass dies gelingen kann.
Professor Dr. med. Matthias Weber, Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Mediensprecher der DGE, ergänzt: „Die männliche Kontrazeption wird die weiblichen Methoden wahrscheinlich nicht ersetzen, aber sie kann die Verhütungsoptionen für Paare erhöhen.“ Die Experten fordern, dass sich sowohl die Vertreter der Gesundheitsbehörden als auch die forschende pharmazeutische Industrie intensiver für die Entwicklung neuer Methoden zur männlichen Kontrazeption einsetzen. „Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2026 die marktreife Entwicklung mindestens eines zuverlässigen, reversiblen und bezahlbaren männlichen Kontrazeptivums zu ermöglichen“, so Nieschlag.