Weniger Tierversuche durch Auswahl des optimalen Tiermodells
Wissenschaftler am BfR vergleichen Genomdaten von Mensch und Mausmodellen mit neuer Methode
Kapa65, pixabay.com, CC0
Ein internationales Forschungskonsortium folgerte im Jahr 2013 auf Basis umfangreicher Genomdaten, dass Entzündungsreaktionen von Mensch und Maus nicht vergleichbar seien. Die Wissenschaftler untersuchten die Folgen unterschiedlicher Auslöser von Entzündungen auf die Genaktivität und verglichen dabei die Informationen der Ribonukleinsäure (RNA) von weißen Blutkörperchen bei Mensch und Maus aus mehreren wissenschaftlichen Studien. Erstmals wurde auf Basis umfangreicher Genomdaten die Aussage getroffen, dass Ergebnisse aus Tierversuchen nicht unbedingt auf den Menschen übertragbar seien.
Eine andere wissenschaftliche Arbeitsgruppe kam auf Basis derselben Genomdaten ein Jahr später zum gegenteiligen Schluss: Die Mäuse reagieren auf der molekularen Ebene sehr ähnlich wie der Mensch. Die Maus sei als Tiermodell deshalb sehr wohl nützlich für die Erforschung menschlicher Erkrankungen, war die Schlussfolgerung.
Es ist in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich, dass die Ergebnisse von Studien unterschiedlich interpretiert werden. Allerdings ist es selten, dass aus denselben Daten gegensätzliche Aussagen abgeleitet werden. Dies ist von besonderer Tragweite, da bei der Untersuchung einer bestimmten Fragestellung möglicherweise unnötig Tiere im Versuch eingesetzt werden, weil das Tiermodell im Hinblick auf die Aussagekraft der Ergebnisse für den Menschen nicht geeignet ist.
Das Ziel kann deshalb nur die Entwicklung standardisierter Ansätze für eine systematische Datenanalyse von umfangreichen Genomdaten sein, um diese Konsequenzen zu vermeiden. Am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) wurden deshalb diese Genomdaten nochmals unter Verwendung der Gene Set Enrichment Analysis (GSEA)- Methode untersucht. Mittels GSEA wird auf Expressionsebene ein direkter Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem potentiell verantwortlichen biologischen Vorgang hergestellt. Es wird mit der statistisch signifikanten Anreicherung jener Kombination von Genen gearbeitet, die wesentlich für den zu untersuchenden biologischen Prozess sind. Man vergleicht dabei zum Beispiel mit Hilfe spezieller Computerprogramme, welche Gene beim Entzündungsprozess aktiviert werden und welchen biologischen Vorgängen diese Gene zugeordnet werden. Werden beim Menschen und bei der Maus diese molekularen Signalwege gleichermaßen verändert, dann wäre die Maus ein gutes Modell für das Studium von Entzündungsprozessen im menschlichen Körper.
In ihrer Studie haben die BfR-Wissenschaftler auch alle Veränderungen der Genaktivitäten, die für Entzündungen bei Mensch und Maus vorliegen, mit Hilfe der GSEA-Methode analysiert. So wurde, anders als sonst üblich, nicht nur ein Teil der Daten betrachtet, sondern auch der überwiegende Anteil der nur leicht veränderten Gen-Produkte systematisch miteinbezogen. Die Analysen des BfR zeigten, dass im Falle von Entzündungen die Reaktionen bei einigen Mausmodellen sehr gut mit den Daten übereinstimmten, die beim Menschen ermittelt wurden, bei anderen Mausmodellen hingegen nicht. Eine derartige Datenanalyse ist somit geeignet, das geeignetste Tiermodell für die jeweils zu untersuchende Fragestellung auszuwählen. Unnötige Tierversuche können so zukünftig vermieden werden. Die in der Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine publizierte Studie zeigt ferner, dass die GSEA-Methode ein sehr gutes Instrument ist, um bestehende Genomdaten in standardisierter Form zu interpretieren.