Wirkstoff gegen resistente Keime

TU-Chemiker nehmen sich des großen Problems fehlender Antibiotika an

17.06.2016 - Deutschland

Die Situation könnte widersprüchlicher nicht sein: Einerseits treten multiresistente Bakterienstämme immer häufiger auf mit der Folge, dass laut Schätzungen der europäischen Gesundheitsbehörde (ECDC) in Europa jährlich 25.000 Patienten an einer Infektion durch mehrfachresistente Keime sterben. In Deutschland liegen die Schätzungen zwischen 7.500 bis 15.000 Todesfällen pro Jahr. Andererseits ist seit den 1970-Jahren die Neuentwicklung von Antibiotika zurückgegangen. „Es fehlen neue Antibiotika-Wirkstoffklassen, die effektiv gegen krankheitserregende Bakterien eingesetzt werden könnten. Zudem hat sich die Pharmaindustrie weitgehend aus der Antibiotikaforschung und -entwicklung zurückgezogen“, sagt Prof. Dr. Roderich Süssmuth, Leiter des Fachgebietes Biologische Chemie.

© TU Berlin/PR/Ulrich Dahl

Prof. Dr. Roderich Süssmuth (links) und Daniel Petras im Labor mit einer Zuckerrohr-Pflanze, aus der der antibiotische Wirkstoff Albicidin gewonnen werden soll. In den Händen haben sie ein Molekülmodell von Albicidin.

Roderich Süssmuth hat sich der Entdeckung neuer Wirkstoffe, insbesondere von Antibiotika, verschrieben. Es ist eines der wichtigsten Arbeitsgebiete seiner Arbeitsgruppe. In seinem neuen Projekt „AlbiPharm“ sollen die Forschungen auf diesem Gebiet intensiviert werden. Ziel es ist, die Wirksamkeit des antibiotischen Wirkstoffs Albicidin zu optimieren, zu prüfen und als Wirkstoff in einem Medikament vorzubereiten.

Albicidin wurde 1985 in dem pathogenen Bakterium Xanthomonas albilineans gefunden, das Zuckerohrpflanzen befällt. Die Aufklärung der Struktur des Stoffwechselproduktes Albicidin gelang der Arbeitsgruppe von Roderich Süssmuth in Zusammenarbeit mit französischen Wissenschaftlern des CIRAD-Instituts in Montpellier und wurde 2015 in Nature Chemical Biology publiziert. Die Beschreibung der Struktur von Albicidin ist nun die Grundlage für die Forschungen in dem Projekt „AlbiPharm“.

Eine Besonderheit des Albicidins ist seine hohe Wirksamkeit gegen die schwer zu bekämpfenden Gram-negativen Bakterien. Zu diesen Bakterien gehören unter anderem die Kolibakterien (Escherichia coli), Salmonellen, Shigellen, Klebsiella, Legionellen, Pseudomonaden und Streptobacillus moniliformis, Erreger des sogenannten Rattenbissfiebers.

„In der heutigen Antibiotikaforschung muss die Bekämpfung der Gram-negativen Bakterien ein Schwerpunkt sein. Denn was das Reservoir an Wirkstoffen gegen diese Keime anbelangt – da ist die Pipeline praktisch leer“, sagt Roderich Süssmuth. Aus medizinischer Sicht sei es daher höchste Zeit, die Forschungen zu intensivieren.

Der molekulare Angriffspunkt (Target) von Albicidin ist die Gyrase, ein für Bakterien lebenswichtiges Enzym. Es führt die Aufwindung der DNA bei Zellteilungsprozessen durch. Als besonders vorteilhaft erweist sich, dass Gyrase-Hemmer wie die auf dem Markt befindlichen Fluor-Chinolone, die weltweit Millionen Menschen das Leben gerettet haben, besonders effiziente Antibiotika sind. Die Mengen an Albicidin, die aus dem Bakterium isoliert werden können, sind für eine weitere Optimierung allerdings viel zu gering, sodass Albicidin mittlerweile synthetisch hergestellt wird. Die chemische Synthese ist durch ein Patent der TU Berlin geschützt.

Neben dem synthetischen Zugang, durch den der Wirkstoff verhältnismäßig einfach und kostengünstig hergestellt werden kann, können nun auch Strukturvariationen vorgenommen werden, die die Wirkstoffeigenschaften des Albicidins verbessern.

Als interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern aus Chemie, Biochemie und Ingenieurwissenschaften bearbeitet die Gruppe die Integration chemischer Modifikationen in die Grundstruktur. Anschließend erfolgt die Untersuchung dieser neu synthetisierten Derivate hinsichtlich ihres Wirkspektrums auf unterschiedliche Bakterienstämme sowie spezieller pharmakologischer Eigenschaften. Das Ziel des Projektes „AlbiPharm“ ist, einen pharmazeutisch aktiven Wirkstoff auf Grundlage des Albicidins zu entwickeln, der für die weiterführende Erforschung im Tiermodell optimiert ist. Damit soll ein Grundstein für die Entwicklung eines neuen Medikaments gelegt werden, das wirksam gegen multiresistente Keime eingesetzt werden kann.

„AlbiPharm“ wird im Rahmen des VIP-Programms des Bundesforschungsministeriums mit 1,6 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren gefördert.

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