Was Zähne fester macht als jedes bekannte künstliche Material

06.06.2016 - Deutschland

Dentin gilt als einer der beständigsten biologischen Stoffe überhaupt. Wie Wissenschaftler der Charité–Universitätsmedizin Berlin nun zeigen konnten, ist es in seiner Zusammensetzung langlebiger als jedes künstlich geschaffene Material. Der Grund dafür liegt in seinen winzigen Nanostrukturen und hier insbesondere im Wechselspiel der einzelnen Komponenten. Die präzise Interaktion zwischen Proteinfasern und mineralischen Nanopartikeln ist dafür verantwortlich, dass Dentin ausgesprochen hohem Druck standhalten kann. Dies haben Messungen an der Synchrotronquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin nachgewiesen.

Jean-Baptiste Forien, © Charité – Universitätsmedizin Berlin

Biostruktur des Dentins: Tubuli und Netz von Kollagenfasern, in denen mineralische Nanopartikel eingebettet sind.

Jean-Baptiste Forien, © Charité – Universitätsmedizin Berlin

Die Kollagenfasern enthalten auch Wasser. Das Bild oben rechts zeigt eine Faser in normalem Zustand. Durch die Wärmebehandlung (Bild rechts unten) trocknet die Kollagenfaser aus, die Nanopartikel geraten unter extremen Druck.

Jean-Baptiste Forien, © Charité – Universitätsmedizin Berlin
Jean-Baptiste Forien, © Charité – Universitätsmedizin Berlin

Ganze 5000 Mal und mehr beißt der Mensch an einem Tag zu. Gesunde Zähne brechen dabei erstaunlich selten, und sie halten beim Kauen starkem Druck stand. Das liegt an ihrem Aufbau. Ein Zahn besteht aus dem Zahnbein, auch Dentin genannt, welches von Zahnschmelz umhüllt ist. Das Geheimnis steckt im Detail. Das Zahnbein ist eine knochenähnliche Substanz, bestehend aus kleinsten mineralischen Nanopartikeln, Kollagen und Wasser. Während der Zahnschmelz vor allem aus dem Mineral cHAP gebildet wird, ist das Dentin ein komplexes Nanokomposit. In organische Kollagen-, also Eiweißfasern, sind anorganische Nanopartikel aus cHAP-Kristallen eingebettet. Für die hohe Belastbarkeit der Biostruktur sind innere Spannungen verantwortlich, wie die Wissenschaftler um Dr. Jean-Baptiste Forien und Dr. Paul Zaslansky vom Julius Wolff Institut der Charité bereits nachweisen konnten.

Wechselwirkung zwischen Nanopartikeln und Kollagenfasern vermessen

Die innere Vorspannung innerhalb des Materials erklärt, warum sich kleinere Risse oder Sprünge im Zahnschmelz meist nicht weiter im intakten Dentin ausbreiten. Nun hat das Team um Zaslansky die Wechselwirkungen zwischen Nanopartikeln und Kollagenfasern in menschlichen Zahnproben genau vermessen: „Erstmals konnten wir nicht nur die Gitterkonstanten der cHAP-Kristalle in den Nanopartikeln präzise bestimmen, sondern gleichzeitig auch die Größen der Nanopartikel ermitteln. Dabei haben wir unter anderem festgestellt, welchen Belastungen sie prinzipiell standhalten können”, sagt Zaslansky. Einblick in die winzigen Strukturen haben die Forscher in Laboren der Charité erhalten, wie auch durch Messungen an der Synchrotronquelle BESSY II, einem wissenschaftlichen Großgerät am Helmholtz-Zentrum Berlin, das Strahlung vom Terahertz- bis in den Röntgenbereich erzeugt.

Austrocknen erhöht den Druck auf ein Vielfaches der Kaubelastung

In ihren Experimenten haben die Wissenschaftler den internen Druck in den Dentinproben erhöht. Dazu erhitzten sie die Proben auf 125 Grad Celsius, um sie auszutrocknen. Der Wasserverlust lässt die Kollagenfasern schrumpfen, die daraufhin hohe Drucke auf die Nanopartikel ausüben. Mit bis zu 300 Megapascal entsprechen diese Druckverhältnisse der Streckfestigkeit von Baustahl und sind 15 Mal höher als der eigentliche Kaudruck, der üblicherweise weit unter 20 Megapascal liegt. Während der Wärmebehandlung wurden die Proteinfasern nicht zerstört, was auf eine Schutzwirkung der mineralischen Nanopartikel hindeutet.

Im Innern des Dentins werden die Nanopartikel kürzer

Die Auswertung der Daten zeigt zudem, dass das Gitter der cHAP-Mineralkristalle im Zahn von außen nach innen kleiner wird. „Gewebe nahe des Zahnmarks, das sich in späteren Stadien der Zahnentwicklung gebildet hat, enthält Mineralpartikel mit kleineren Einheitszellen“, stellt Zaslansky fest. Die Größe der Nanopartikel verhält sich ebenso: Während sie in der Zahnwurzel außen,  in Richtung des sog. Zements, noch etwa 36 Nanometer lang sind, weisen sie im Inneren des Zahnbeins, in Richtung der Pulpa, nur noch 25 Nanometer Länge auf.

Vorbild für Zahnfüllungen

Mit seinen raffinierten Strukturen könnte das Zahnbein Vorbild bei der Entwicklung neuer Materialien sein, beispielsweise für Zahnfüllungen. „Die Architektur des Dentins ist deutlich komplexer als erwartet. Während der Zahnschmelz sehr hart, aber auch spröde ist, üben die organischen Fasern im Dentin genau den richtigen Druck auf die mineralischen Nanopartikel aus, um das Zahnbein insgesamt noch belastbarer zu machen“, so die Wissenschaftler. Das gilt zumindest, solang der Zahn intakt ist. Kariesbakterien lösen nicht nur den mineralischen Zahnschmelz, sondern produzieren auch Enzyme, die die Kollagenfasern zerstören. Damit kann der Zahn leichter brechen. Entscheidend sind die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung insbesondere auch für die Zahnmedizin in der täglichen Anwendung: „Zähne sollten während einer Behandlung, beispielsweise dem Einbringen von Füllungen oder dem Befestigen von Kronen, nass sein und nicht zu stark erwärmt werden. Das vermeidet internen Druck und kann zu nachhaltigeren Behandlungserfolgen führen“, resümiert Zaslansky.

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