Big Pharma tritt auf der Stelle
Aber wachsende Wirkstoffpipeline gibt Anlass zu Optimismus
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Das operative Ergebnis (EBIT) stieg um fast ein Viertel (23,4 Prozent) auf 147 Milliarden Euro. Ohne Wechselkurseffekte betrug das Wachstum 6,8 Prozent. Damit hat sich auch die EBIT-Marge (Verhältnis Gesamtergebnis zum Gesamtumsatz) leicht von 25 Prozent auf 26 Prozent verbessert.
Die Konzerne gaben insgesamt 168 Milliarden US-Dollar für M&A-Aktivitäten aus. Das war zwar weniger als im Vorjahr, als ein neuer Rekordwert von 218 Milliarden US-Dollar erreicht wurde, markiert aber immer noch den zweithöchsten Wert überhaupt. Wäre die geplante 160 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme von Allergan durch Pfizer nicht geplatzt, wäre der Rekord aus dem Vorjahr sogar deutlich übertroffen worden.
Auch die F&E-Ausgaben stiegen leicht: Sie betrugen knapp 80 Milliarden Euro und lagen wechselkursbereinigt 3,1 Prozent über dem Vorjahr.
Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen der 21 größten Pharmaunternehmen der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY erstellt hat.
„Big Pharma tritt – von ein paar Ausnahmen abgesehen – auf der Stelle. Sowohl Umsätze, Gewinne als auch Investitionen gingen währungsbereinigt nur leicht nach oben“, kommentiert Gerd Stürz, Marktsegmentleiter Life Sciences für Deutschland, die Schweiz und Österreich bei EY, die Zahlen. „Ausnahme sind die Big Biotechs: Vor allem sie treiben derzeit das Wachstum.“ Allerdings gebe die deutlich steigende Anzahl von Wirkstoffen in der Pipeline Anlass zu vorsichtigem Optimismus für die gesamte Branche.
3.770 Wirkstoffe in der Pipeline
In den kommenden Jahren können die Konzerne dank neuer Produkte in der Pipeline auf weiteres Wachstum hoffen. Insgesamt befanden sich im vergangenen Jahr 3.770 Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung, der Zulassungsphase oder wurden in den Markt eingeführt. Das bedeutet eine Steigerung um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr davor waren es nur 2.768. Auch die Anzahl der Medikamente in den späteren Phasen (Phase III, „filed“ und „approved“) – also unmittelbar vor einer möglichen Zulassung beziehungsweise währenddessen – ist wieder nach oben gegangen, nachdem sie im Jahr zuvor zurückgegangen war.
Für Stürz ist das ein gutes Zeichen für die Branche: „Die Qualität der Medikamente in diesen späten Phasen ist sehr hoch. Dank neuer Methoden wie Biomarker oder Diagnostiktools lassen sich Projekte heutzutage bereits sehr früh stoppen, weil man rechtzeitig merkt, dass sie nicht die gewünschten Behandlungserfolge bringen. Dass die Unternehmen wieder mehr Medikamente bis in die späten Phasen bringen, beweist, dass sie qualitativ hochwertige Produkte in der Spur haben, die schon bald auf den Markt kommen werden.“ Er fügt jedoch hinzu, dass gerade die Big Pharma-Unternehmen dennoch nicht darum herumkommen werden, in Zukunft verstärkt Zukäufe zu tätigen. „Ihr Umsatzwachstum aus eigener Kraft reicht einfach nicht aus, um die Wachstumslücke zu schließen, die zum Globalen Medikamentenmarkt besteht.“
Siegfried Bialojan, Leiter des EY Life Science Center in Mannheim, ergänzt: „Wir werden deshalb in den kommenden Jahren weiter eine hohe Aktivität auf dem M&A-Markt sehen. Zwar wird der Anteil der Deals aus steuerlichen Gründen zurückgehen, weil die USA jüngst ihre Steuergesetze deutlich verschärft und dadurch die Verlegung von Unternehmenssitzen aus steuerlichen Gründen weniger lukrativ gemacht haben.“ Daran war auch schon die Übernahme von Allergan durch Pfizer und zwei Jahre zuvor die geplante Übernahme von Shire durch Abbvie gescheitert. „Dennoch wird sich fortsetzen, was wir derzeit schon beobachten: Die Konzerne stoßen ganze Unternehmensteile ab oder kaufen neue hinzu, um sich gezielt zu verstärken. Dadurch gewinnen sie einen engeren therapeutischen Fokus und können sich auf ihre Stärken besinnen. Außerdem nimmt der Konkurrenzdruck zu – schnelle Innovationen können die Pharma-Unternehmen nur vorweisen, wenn sie diese von außen ins Unternehmen holen.“
Wirkstoffe gegen Krebs und Immunkrankheiten dominieren
Die Pharma-Konzerne haben vor allem ihre größten Umsatzbringer ausgebaut: Medikamente gegen Krebs und Immunkrankheiten. In diesem Segment generierten sie zusammen 115,8 Milliarden Euro nach 94,1 Milliarden Euro im Jahr 2014. Zudem haben sie auch wieder auf ihren zweitwichtigsten Umsatzbringer – Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten und Stoffwechselkrankheiten – gesetzt, der im Jahr zuvor nahezu stagnierte. Diesmal kletterte der Umsatz in diesem Bereich von 74,1 Milliarden Euro auf 84,8 Milliarden Euro.
Am deutlichsten wächst jedoch die Bedeutung von Medikamenten gegen Infektionskrankheiten. Diese verzeichneten in den vergangenen zwei Jahren ein Umsatzwachstum von insgesamt über 80 Prozent: Von 30,1 Milliarden Euro 2013 stieg der Umsatz auf 54,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Dazu trug vor allem Gilead mit seinen innovativen und kurativen Hepatitis-Medikamenten bei.
Blockbuster-Anteil steigt insgesamt – Gilead macht den meisten Umsatz mit Blockbustern
Kein anderes Unternehmen erzielt seine Umsätze so umfassend mit Blockbuster-Medikamenten – also Medikamenten mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar pro Jahr – wie Gilead. Der Anteil am Gesamtumsatz machte 92,2 Prozent aus. Einen ähnlich hohen Anteil erreichten auch die beiden anderen Big Biotechs Novo Nordisk (90,7 Prozent) und Amgen (88 Prozent). Insgesamt – über alle 21 analysierten Unternehmen hinweg – lag der Blockbuster-Anteil bei 60 Prozent und damit zwei Prozentpunkte über dem Wert des Jahres 2014.
Big Biotech dominiert beim Umsatzwachstum
Big Biotech-Konzerne haben im Jahr 2015 die stärksten Wachstumsraten beim Umsatz erzielt. So konnte Gilead Sciences von 2013 bis 2015 um durchschnittlich 70,7 Prozent jährlich wachsen, Biogen um 24,6 Prozent und Novo Nordisk um 13,6 Prozent. „Vor allem die Biotechnologie hat in den vergangenen Jahren eine deutliche Aufwertung erlebt – innovative Therapien, sinkende Behandlungskosten und eine hohe Anzahl an Produktzulassungen haben ihr einen internationalen Höhenflug verschafft“, urteilt Bialojan. „Big Pharma hat sich dagegen vor allem auf die Bereinigung des eigenen Portfolios konzentriert und gezielt hinzugekauft beziehungsweise Unternehmensteile verkauft“, ergänzt Stürz.
Deutsche Konzerne legen beim EBIT zu – müssen aber weiter an Profitabilität arbeiten
Der deutsche Konzern Bayer folgt als erstes Big Pharma-Unternehmen nach den drei Big Biotech-Konzernen auf Platz vier mit einer mittleren jährlichen Umsatzwachstumsrate von 10,8 Prozent. Auch die anderen untersuchten deutschen Unternehmen Merck KGaA und Boehringer Ingelheim können bei konstanten Wechselkursen ein Umsatzwachstum verzeichnen – ganz im Gegensatz zu Branchenriesen wie Novartis, Pfizer oder GlaxoSmithKline. Merck legte im Mittel mit sieben Prozent zu, Boehringer mit 1,4 Prozent. Beim EBIT liegen die deutschen Konzerne allerdings nach wie vor deutlich hinter der internationalen Konkurrenz, gehören beim EBIT-Wachstum jedoch zur Spitzengruppe. Boehringer Ingelheim konnte sein EBIT im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2014 fast um ein Drittel (31,4 Prozent) steigern. Nur drei andere Unternehmen schafften einen größeren EBIT-Anstieg. Bayer (21,7 Prozent) und Merck (20,9 Prozent) steigerten ihr EBIT jeweils um etwas mehr als ein Fünftel.
Die Profitabilität der deutschen Pharma-Unternehmen ist jedoch unterdurchschnittlich. Während die Branche insgesamt auf eine EBIT-Marge von 26 Prozent kommt – angetrieben von den Big Biotech-Unternehmen, die allesamt Margen von über 40 Prozent erreichen – sind Merck (16,9 Prozent), Bayer (14,7 Prozent) und Boehringer Ingelheim (12 Prozent) nach wie vor weit von solchen Zahlen entfernt. Immerhin konnten alle drei ihre Margen im Vergleich zu 2014 steigern.
„Obwohl andere Branchen von diesen Margen nur träumen können – die deutschen Pharma-Konzerne müssen weiter an ihrer Profitabilität arbeiten, um zur internationalen Konkurrenz aufzuschließen“, betont Stürz. Er sieht sie dabei aber auf einem guten Wege: „Sie konzentrieren sich stärker auf ihre Kernkompetenzen, investieren in Forschung und Entwicklung und sind dadurch für die Zukunft gut aufgestellt.“ Es gelte, jetzt nicht nachzulassen, sondern das Portfolio weiter zu schärfen.
Gerade der US-amerikanische Pharma-Konzern Gilead Sciences führt derzeit vor, wie das geht. Gilead ist Marktführer bei Medikamenten zur Behandlung von HIV und Hepatitis C. Mit der Fokussierung auf diese Produktgruppen machte der Konzern 2015 einen Sprung von Platz neun auf Platz vier der umsatzstärksten Pharma-Unternehmen.