Beziehungsgeflecht in der Zelle
Wissenschaftler veröffentlichen erstes RNA-Interaktom des menschlichen Zellkerns
Über Jahrzehnte wurden Proteine als die wichtigsten funktionalen Bestandteile lebender Zellen angesehen. Seit einigen Jahren wird ihre vorrangige Bedeutung für zelluläre Prozesse durch die wachsenden Kenntnisse über die Beteiligung von RNA-Molekülen aber zunehmend in Frage gestellt. RNA-Moleküle wurden lange in Form der Boten-RNA (messengerRNA, mRNA) und Transfer-RNA (tRNA) als reine Vermittler zwischen der DNA als Träger der Erbinformation und den Proteinen als Bausteinen der Zelle angesehen.
Seit einigen Jahren ist jedoch klar, dass die RNA neben dieser Weitergabe der genetischen Information noch zahlreiche weitere Aufgaben hat. Zu diesen „nicht-kodierenden Funktionen“ gehören Aufgaben bei der Regulation der Abschrift (Transkription) der DNA und der Herstellung von Proteinen genauso wie die Festlegung der Positionen, an denen sich andere Moleküle innerhalb der Zelle befinden sollen. Die verschiedenen RNAs arbeiten dabei eng mit jeweils sehr spezifischen Proteinen zusammen. Die Aufklärung dieses Zusammenspiels von RNA und Proteinen ist daher für das Verständnis der molekularen Mechanismen bei der Entwicklung von Lebewesen und bei der Entstehung von Krankheit von großer Bedeutung.
Eine Forschungsgruppe am Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik unter der Leitung von Ulf Andersson Ørom hat jetzt erstmalig eine Übersicht über die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen RNA-Molekülen und Proteinen in einem menschlichen Zellkern erstellt. Dafür mussten die Wissenschaftler zunächst die Methode zur Untersuchung solcher Wechselwirkungen, die sogenannte „RNA Interactome Capture“-Technik so verändern, dass sie für die Untersuchung von RNA-Protein-Wechselwirkungen innerhalb spezifischer Zellkompartimente wie dem Zellkern angewendet werden konnte. Mit der modifizierten Methode untersuchten die Forscher die Zellkerne von insgesamt einer Milliarde Zellen, um möglichst alle Wechselwirkungen zu erfassen und zu katalogisieren, die in den Zellkernen vorkommen können.
„Besonders interessant war für uns, dass die von uns gefundenen RNA-Protein-Paare nicht nur Aufgaben bei der Steuerung der Aktivität der Gene und des Schicksals der resultierenden mRNAs übernehmen, sondern auch an der Aufspürung und Reparatur von beschädigter DNA beteiligt sind“, erklärt Ørom.
Schäden an der DNA sind zum Beispiel falsche oder fehlende Basen oder Brüche eines oder beider Stränge der DNA-Doppelhelix. Sie können unter anderem durch die Einwirkung von reaktiven Sauerstoffmolekülen, durch UV-Strahlung oder andere Faktoren innerhalb und außerhalb der Zelle hervorgerufen werden und kommen täglich tausende von Malen in jeder Zelle des Körpers vor. Die Zelle reagiert mit einem sehr komplexen Reparaturprozess, an dem zahlreiche Proteine und RNA-Moleküle beteiligt sind, die spezifisch die beschädigte DNA reparieren und damit die Funktionalität der Zellen aufrechterhalten.
„Eine Beteiligung von RNA an der Reparatur beschädigter DNA wurde schon länger vermutet, es ist aber noch völlig unklar, auf welchem Weg die RNA diesen Prozess beeinflusst“, so Ørom. „Durch die Identifikation der Proteine, die gemeinsam mit der RNA an der Reparatur von DNA beteiligt sind, leistet unsere Studie einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung dieser Mechanismen.“ Die Forscher erhoffen sich von diesen Erkenntnissen wichtige Fortschritte für das Verständnis menschlicher Erkrankungen und die Entwicklung neuer Therapieansätze gegen Krebs.