Zellen im Standby-Modus

Unter ungünstigen Bedingungen kann die Zellflüssigkeit erstarren und Zellen so vor dem Tod schützen

24.03.2016 - Deutschland

Im Normalzustand sind Zellen quicklebendig und hochdynamisch: In ihrem Inneren, dem flüssigen Zytoplasma, laufen parallel unzählige Stoffwechselprozesse ab, Proteine und Partikel wuseln wild umher. Bekommen Zellen allerdings nicht ausreichend Nahrung, dann sinkt ihr Energielevel. Dies führt zu einem deutlichen Abfall des pH-Wertes im Zytoplasma – die Zellen werden saurer. Als Reaktion darauf verfallen die Zellen in eine Art Schlafzustand, der ihnen in Notsituationen das Überleben sichern kann. Dresdner Forscher haben nun herausgefunden, dass das Zytoplasma dieser scheintoten Zellen seine Konsistenz von flüssig zu fest verändert. Dadurch schützt es die empfindlichen Strukturen in der Zelle.

© MPI f. molekulare Zellbiologie und Genetik

Normalerweise sind Hefezellen stäbchenförmig (oben). Entfernen Wissenschaftler jedoch die Zellwand, verlieren die Hefen ihre Stabilität und werden kugelförmig (unten links). Im Schlafzustand (oben rechts) hat der Verlust der Zellwand keine sichtbaren Folgen: Die Zellen bleiben stäbchenförmig (unten rechts).

Zellen können in eine Art Schlafzustand übergehen, wenn sie mit ungünstigen Bedingungen wie zum Beispiel Nahrungsmangel konfrontiert werden. In diesem Zustand fahren Zellen ihren Stoffwechsel stark herunter und setzen Wachstum und Zellteilung aus. In extremen Fällen sind solche Zellen kaum oder gar nicht mehr von toten Zellen zu unterscheiden – und doch sind sie in der Lage, in den Normalzustand zurückzukehren, wenn sich die Bedingungen in ihrer Umgebung verbessern.  

Matthias Munder und seine Dresdner Kollegen unter der Leitung von Simon Alberti wollten genauer verstehen, wie Zellen diesen Standby-Modus ein- und wieder ausschalten können. Dazu arbeiteten sie mit Hefezellen und ließen diese zunächst hungern. Die Beobachtung: Das Zytoplasma verliert seine Dynamik, Zellorganellen und Partikel werden gebremst und viele Proteine bilden große, mikroskopisch sichtbare Strukturen. Es erscheint, als ob das Zytoplasma seine Konsistenz als Reaktion auf den Nahrungsmangel verändert. Und tatsächlich: Genauere Untersuchungen mit hochempfindlichen biophysikalischen Methoden zeigen, dass sich der Aggregatzustand des Zytoplasmas von flüssig zu fest verändert – die Zelle verfällt in eine Art Totenstarre. Ausschlaggebend ist dabei der pH-Wert, der unter Hungerbedingungen deutlich absinkt.

Faszinierenderweise können die Zellen – ganz im Gengensatz zu toten Zellen – diese Reaktion auch wieder rückgängig machen. Steht wieder ausreichend Nahrung zur Verfügung, dann steigt der pH-Wert, das Zytoplasma wird wieder flüssig und die Zellen setzen Wachstum und Zellteilung fort. Die Studien zeigen, dass der Zustand des Zytoplasmas für das An- und Ausschalten des Standby-Modus entscheidend ist: „Zellen scheinen über einen Kontrollmechanismus zu verfügen, mit dem sie ihre eigene Konsistenz in Reaktion auf bestimmte Umweltbedingungen regulieren können, um das Überleben zu sichern.“ Der Tod lässt sich also austricksen, indem sämtliche Lebensprozesse in einer kontrollierten Art und Weise heruntergefahren werden. Ob menschliche Zellen diesen Trick erlernen können, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Originalveröffentlichung

Matthias Munder, Daniel Midtvedt, Titus Franzmann, Elisabeth Nüske, Oliver Otto, Maik Herbig, Elke Ulbricht, Paul Müller, Anna Taubenberger, Shovamayee Maharana, Doris Richter, Jochen Guck, Vasily Zaburdaev und Simon Alberti; "A pH-driven transition of the cytoplasm from a fluid- to a solid-like state promotes entry into dormancy"; eLIFE, 22. März 2016

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