Fehlender Transkriptionsfaktor entfesselt Blutgefäßwachstum
Wissenschaftler entdecken neuen Schalter der Blutgefäßbildung
© MPI für Herz- und Lungenforschung
Oftmals werden Blutgefäße mit Wasserleitungen verglichen: Ein Röhrensystem, das Organe mit sauerstoff- und nährstoffreichem Blut versorgt. Dieser Vergleich hinkt allerdings an einer entscheidenden Stelle. Anders als Wasserleitungen handelt es sich bei Blutgefäßen nicht um ein starres, unveränderliches Leitungsnetz, sondern um ein komplexes und hoch dynamisches System. Dieses reagiert in kurzer Zeit auf wechselnde Anforderungen, die sich beispielsweise aus einem längerfristig erhöhten Sauerstoff- und Nährstoffbedarf in Geweben ergeben. Werden Organe länger mit Sauerstoff unterversorgt, löst dies das Wachstum neuer Blutgefäße aus.
Dabei kommt den sogenannten Endothelzellen eine besondere Bedeutung zu. Diese Zellen kleiden Blutgefäße von innen aus. Als Bausteine der kleinsten Gefäße, der Kapillaren, haben sie zudem direkten Kontakt zu den Organen. Erreicht die Endothelzellen ein Wachstumssignal aus dem mit Sauerstoff und Nährstoffen unterversorgten Gewebe, wechseln die Zellen innerhalb kurzer Zeit von einem Ruhezustand in einen Zustand mit beschleunigter Zellteilungsaktivität. Dieser Umschaltprozess erfordert eine umfangreiche Anpassung ihres Stoffwechsels, da genügend Energie und Bausteine für die Zellteilung bereitgestellt werden müssen.
Molekularer Schalter für Wachstum
Die Arbeitsgruppe von Michael Potente am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung hat nun einen entscheidenden molekularen Schalter der Blutgefäßbildung entdeckt, der die Zellteilungs- und Stoffwechselaktivität von Endothelzellen koordiniert. Es handelt sich um den Transkriptionsfaktor FOXO1, der im Zellkern das Ablesen von Genen kontrolliert.
„Als wir im Experiment in Mäusen FOXO1 durch einen genetischen Eingriff in Endothelzellen gezielt ausschalteten, führte dies zu einem unkontrollierten Wachstum der Gefäßzellen. Umgekehrt bremste das Anschalten des Moleküls das Blutgefäßwachstum“, sagt Potente.
Zusammen mit europäischen und US-Kollegen fanden die Wissenschaftler Hinweise auf den zugrunde liegenden Mechanismus. Demnach verlangsamt FOXO1 die Stoffwechsel- und Zellteilungsaktivität in den Endothelzellen. „Unter normalen, physiologischen Zuständen verhindert FOXO1 so eine unkontrollierte Zellteilung, welche die Gefäßfunktion beeinträchtigen würde. Ist jedoch das Wachstum von Blutgefäßen nötig, erlaubt FOXO1 eine höhere Stoffwechselaktivität der Zellen“, so Potente. Auf diese Weise können dann ausreichend zelluläre Bausteine für das expandierende Gefäßnetzwerk zur Verfügung gestellt werden.
Ein Hinweis auf die Bedeutung von FOXO1 im Endothel ergibt sich aus der Tatsache, dass das Molekül in der Evolution hoch konserviert ist. „Vom Fadenwurm über Fruchtfliege bis zum Menschen lässt sich das Molekül finden. Die meisten Zelltypen besitzen das Protein“, sagte Potente. Dass es vor allem in Endothelzellen eine herausragende Funktion hat, liegt nach Potentes Ansicht an dem besonderen Stoffwechselumfeld, in dem diese Zellen angesiedelt sind. „Gefäßzellen sind im direkten Kontakt mit dem sauerstoff- und nährstoffreichen Blut und müssen diese Stoffe an das umliegende Gewebe abgeben.“ Dies macht eine optimale Regulation des Zellstoffwechsels notwendig.
Bedeutung für die Medizin
Nach Meinung der Max-Planck-Forscher könnte FOXO1 zukünftig eine wichtige Rolle bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen spielen. So ist bekannt, dass FOXO1 häufig in Tumoren inaktiviert ist. Diese Inaktivierung könnte zu dem unkontrollierten Gefäßwachstum beitragen, das typisch für bösartige Tumoren ist. „Das Wachstum von Tumoren ließe sich möglicherweise mittels gezielter pharmakologischer Aktivierung von FOXO1 unter Kontrolle bringen“, spekuliert Potente. Auch bei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus könnte FOXO1 eine Rolle spielen. „Die dabei zu beobachtende Fehlfunktion des Gefäßwachstums ist womöglich auf eine gestörte Regulation von FOXO1 in den Endothelzellen zurückzuführen“, so Potente.