Neue Einblicke in die molekularen Grundlagen des Gedächtnisses

21.12.2015 - Deutschland

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankung (DZNE) aus Göttingen und München haben neue Erkenntnisse über die molekularen Grundlagen des Gedächtnisses gewonnen. Ihre Studie bestätigt, dass die Entstehung von Erinnerungen mit einer veränderten Aktivität spezieller Gene einhergeht. Darüber hinaus fanden sie in bisher nicht erreichtem Umfang Belege dafür, dass chemische Markierungen am Rückgrat der DNA (sogenannte DNA-Methylierung) möglicherweise die molekulare Grundlage des Langzeitgedächtnisses bilden.

Das Gehirn birgt noch viele Unbekannte. Grundsätzlich geht man davon aus, dass es Erlebnisse abspeichert, indem Verbindungen zwischen Hirnzellen verändert werden. Auf dieser Wandlungsfähigkeit – auch „Plastizität“ genannt – beruhen demnach das Gedächtnis und die Gabe zum Lernen, also die Gabe aus Erinnerungen, Schlüsse zu ziehen. Auf molekularer Skala werden diese Veränderungen durch Anpassungen in der Expression spezieller Gene vermittelt, die je nach Bedarf die Kopplung zwischen den Hirnzellen verstärken oder abschwächen.

Für die aktuelle Studie untersuchte ein Forscherteam um Dr. Stefan Bonn und Prof. André Fischer aus Göttingen, gemeinsam mit Kollegen des DZNE-Standorts München, wie die Aktivität solcher Gene reguliert wird. Die Wissenschaftler stimulierten das Langzeitgedächtnis von Mäusen, indem sie die Tiere darauf trainierten, eine bestimmte Versuchsumgebung wiederzuerkennen. Anhand von Gewebeproben konnten die Forscher nachvollziehen, wie sich durch diese Lernaufgabe die Aktivität der Gene in den Hirnzellen der Mäuse veränderte. Der Fokus richtete sich dabei auf sogenannte epigenetische Modifikationen. Diese betreffen die DNA und spezielle Proteine, die in Verbindung mit der DNA vorliegen.

Epigenetische Veränderungen

„Die Zelle nutzt verschiedene Mechanismen, um Gene an- oder auszuschalten, ohne dass sich die DNA-Sequenz dabei verändert. Das nennt am ‚Epigenetik‘“, erläutert Dr. Magali Hennion, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team von Stefan Bonn.

Prinzipiell kann die Genregulation über eine sogenannte Methylierung geschehen, wodurch das Rückgrat der DNA an spezifischen Stellen chemisch markiert wird. Ebenfalls möglich sind Veränderungen an den „Histonen“: Hierbei handelt sich um Proteine, die die DNA verpacken.

Hennion: „In Hinblick auf das Gedächtnis steht die Erforschung epigenetischer Veränderungen erst am Anfang. Wir schauen uns solche Merkmale an, nicht nur um das Gedächtnis besser zu verstehen. Wir suchen auch nach möglichen Ansatzpunkten für Medikamente, die einem Gedächtnisverfall entgegenwirken könnten. Letztlich geht es also um Therapien gegen Alzheimer und ähnliche Hirnerkrankungen.“

Ein Code für Gedächtnisinhalte?

Im Rahmen der aktuellen Studie konnten die Forscher sowohl Modifikationen an den Histonen als auch an der Methylierung der DNA feststellen. Veränderungen der Histone hatten jedoch nur geringe Auswirkung auf die Aktivität für die Neuroplastizität wichtiger Gene. Des Weiteren entdeckten Bonn und seine Kollegen epigenetische Modifikationen nicht nur an Nervenzellen, sondern auch in nicht-neuronalen Zellen des Gehirns.

„Welche Bedeutung nicht-neuronale Zellen für das Gedächtnis haben, ist eine spannende Frage, die wir weiter verfolgen werden“, sagt André Fischer, Standortsprecher des DZNE in Göttingen und Professor an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). „Des Weiteren deuten unsere Beobachtungen darauf hin, dass die Neuroplastizität maßgeblich von der Methylierung der DNA gesteuert wird. Das ist zwar keine neue These, doch unsere Studie hat in bislang unerreichtem Umfang dafür Belege gefunden. Demnach ist die Methylierung möglicherweise ein wichtiger molekularer Baustein des Langzeitgedächtnisses. Sie wäre dann eine Art Code für Gedächtnisinhalte und könnte somit neue Ansatzpunkte für Therapieverfahren gegen Alzheimerdemenz liefern. Diesen Aspekt wollen wir in weiteren Studien gezielt untersuchen.“

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